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Bundesverfassungsgericht: – Erste Adresse für Querulanten

Hier ein Beitrag von CICERO aus dem Jahr 201 oder 2012. Der Beitrag zeigt auch sehr schön, wie unsere „freie Presse“ funktioniert.

Bei dem Interview war auch der Fotograf aus Düsseldorf, sowie der Redakteur ausgesprochen kritisch gegenüber der Justiz eingestellt. Tatsächliche Justizkritik kann man aber in dem Beitrag nicht finden, stattdessen schoesst man gegen Justizkrtiker und Justizopfer.

PRESSEFREIHEIT IST DIE FREIHEIT DER PRESSE DEM BÜRGER DAS WESENTLICHE VORZUENTHALTEN.

Über 6000 Verfassungsbeschwerden erreichen das Bundesverfassungsgericht jedes Jahr. Jetzt wollen die Karlsruher Richter eine Gebühr erheben, um Querulanten abzuschrecken

Die Antwort ist knapp, gerade mal eine Seite lang. „Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.“ Punkt. Darunter die Unterschriften von drei Verfassungsrichtern. Und der Hinweis: „Die Entscheidung ist unanfechtbar.“ Rainer Hoffmann betrachtet verächtlich das amtlich gesiegelte Papier. „Nicht einmal eine Begründung.“ Er streicht sich über den Kopf: „Das Bundesverfassungsgericht verweigert mir mein verfassungsmäßiges Recht.“

Hoffmanns verfassungsmäßiges Recht hat eine Adresse: Schlossbezirk Nummer drei in Karlsruhe. Wer sich in seinen Grundrechten verletzt fühlt, kann dorthin schrei­ben und Beschwerde einlegen. Doch für viele Bürger ist das oberste Gericht nur ein Kummerkasten. Mehr als 6000 Beschwerden landen hier jedes Jahr, die meisten davon haben keine Aussicht auf Erfolg.

Trotzdem müssen alle Briefe gelesen und beurteilt, die Beschwerdeflut kanalisiert, die aussichtslosen von den begründeten Fällen unterschieden werden. Das macht Egon Hiegert. Er hat auch Hoffmanns Anliegen gesichtet und weitergereicht. Hiegert, ein rundlicher Mann mit ausgeglichenem Gemüt, ist der Eingangsbeamte. Man könnte ihn (freundlich) den Schleusenwärter des höchsten Gerichts nennen oder (weniger freundlich) den Türhüter, der in Franz Kafkas makabrer Parabel „vor dem Gesetz“ steht und „den Mann vom Land“, der sich nach seinem Recht erkundigen will, so lange vor der Tür warten lässt, bis er stirbt.

Bis zu 80 Fälle bekommt Hiegert täglich auf seinen Schreibtisch, auf dem an der einen Ecke eine Europafahne steht. Er scheidet die hoffnungslosen Beschwerden von jenen, die juristische Substanz haben könnten.
Die ganz abseitigen landen gleich im allgemeinen Register, einem schmalen Raum mit Regalflächen, auf denen lauter gelbe Kladden liegen: Briefe und Faxe von Leuten, die berichten, man habe ihnen einen Chip ins Gehirn implantiert oder sie sähen Engel. Eine Frau fordert für einen erlittenen Missbrauch eine Milliarde Schadenersatz. Andere sehen ihre Bürgerrechte verletzt, weil in ihrem Stadtviertel Tempo 30 eingeführt wurde oder weil sie beim Falschparken erwischt wurden. Manche Schriftsätze sind in Versform verfasst, andere bemalt. Neulich bekam Hiegert eine Beschwerde mit einem großen Smiley drauf: „Ruf doch mal an.“ Er muss alles lesen, bis zur letzten Seite.

Es gibt die eindeutigen Fälle. Da wurden ganz offensichtlich die strengen Fristen nicht eingehalten, oder die Person ist nicht klageberechtigt, weil sie von dem behaupteten Verstoß gegen die Verfassung nicht selbst betroffen ist. Aber die Erfolgsquote ist gering. Selbst bei denen, die nicht gleich aussortiert, sondern an die Richter weitergereicht werden, liegt sie bei gerade mal 2,7 Prozent. Hiegert, selbst jahrelang Zivil- und Strafrichter, sagt lakonisch: „Es gibt viele Möglichkeiten, hier zu scheitern.“

Der Schleusenmann schlurft die Regalreihen mit den gelben Kladden entlang. In einer dieser gelben Kladden liegt auch Rainer Hoffmanns letzte Verfassungsklage. „Verfassungsbeschwerde“, korrigiert Hoffmann. Er hat in den vergangenen Jahren gelernt, genau zu formulieren. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer eines sauber geklinkerten Einfamilienhauses in Recklinghausen. Hinter ihm stehen Aktenordner in zwei Reihen. Man könnte sagen, es ist sein Lebenswerk. Er würde sagen, zwischen den Aktendeckeln liegen die Beweise dafür, dass sich Richter, Anwälte und Behörden gegen ihn verschworen haben.

Angefangen hat Hoffmanns Kampf vor 15 Jahren. Damals setzte er sich eine thermische Solaranlage auf das Dach zur Erwärmung des Trinkwassers und, wie er glaubte, auch zum Heizen. Hoffmann sagt, die Anzeige und die Prospekte hätten in diesem Punkt bewusst in die Irre geführt, er sei betrogen worden. Er weigerte sich, die 15 000 Mark teure Anlage zu bezahlen. Es war der Beginn einer Flut von Klagen, Vergleichen, Unterlassungserklärungen, Petitionen und Schriftverkehr, in deren Verlauf Hoffmann zum Solarkritiker und Amateurjuristen wurde.

Es lässt sich heute nicht mehr leicht rekonstruieren, ob Hoffmann damals mit der Solaranlage wirklich getäuscht wurde oder sich nur getäuscht hat. Doch mit jedem Misserfolg vor Gericht ist der Fall immer größer geworden. Inzwischen vermutet er den ganz großen Solarschwindel, bei dem Richter, Anwälte und das Justizministerium gemeinsam die Fäden ziehen. Auch das Fernsehen berichtet über ihn. Amtsgericht, Petitionsausschuss, Presse, eine ausufernde Website, auf der er seinen Fall und den Solarschwindel im Detail ausbreitet.

Hoffmann schöpft alle Möglichkeiten aus. Er reicht Petitionen im nordrhein-westfälischen Landtag ein, gegen den „Richterbetrug“ an den Amtsgerichten Gelsenkirchen und Bochum. Irgendwann stößt er auf dieses Aktenzeichen 4121 E-III 372/98. Es stand in einem der zahlreichen Behördenbriefe. Eine Akte beim Justizministerium in Düsseldorf, in der offenbar seine zahlreichen Briefe, Beschwerden und Klagen gesammelt werden. Hoffmann verlangt vollständige Einsicht in diese Akte, die ihm aber nur teilweise gewährt wird. Seitdem spricht er von „der Geheimakte“. Er wolle sie sehen, dann werde offenbar, was die Justiz seit Jahren mit ihm mache und welche Drahtzieher dahinterstehen. Über all dem hat der ausgebildete Buchprüfer seinen gut bezahlten Job als Prokurist in einem mittelständischen Unternehmen verloren. Heute sitzt er, wie er sagt, auf einem „Arsch voll Schulden“, kann sein Haus nicht mehr abbezahlen. „Hartz IV nehme ich ganz bewusst nicht“, sagt er.

Auf vier Verfassungsbeschwerden hat er es inzwischen gebracht. Selbst formuliert, manchmal sogar mit Fotos und Internetlinks angereichert. Jeder dieser Schriftsätze zieht umfangreiche Briefwechsel nach sich. Andere haben es auf 700 Eingaben gebracht. In der Gerichtsverwaltung nennt man sie die „Stammkunden“. Solche ungebetenen Stammkunden kennt jedes Gericht. Menschen, die es sich zum Lebensinhalt gemacht haben, Strafen nicht zu zahlen, der Justiz Fehler nachzuweisen oder die immer wieder versuchen, ihren Fall neu vor Gericht zu bringen.

Jeder fühlt sich im Recht. Und jeder darf sich an die Richter in Karlsruhe wenden. „Kein Verfassungsgericht der Welt macht es seinen Bürgern so leicht zu klagen“, sagt Hiegert. Man brauche keinen Anwalt, nicht einmal ein Formblatt müsse ausgefüllt werden. Die Verfassungsbeschwerde sei das Kronjuwel der Verfassung, der Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür. Aber das könne nur funktionieren, wenn dieser Zugang nicht verstopft wird. Manchmal, sagt Hiegert, sei das Aufkommen nur noch schwer zu bewältigen. Das Förderband laufe immer weiter.

Lesen Sie weiter über ältere Herren, die viel Zeit haben, Gesetzte zu studieren…

Dem will das Gericht jetzt einen Riegel vorschieben. Eine sogenannte „Mutwillgebühr“ soll erhoben werden. Sie soll hartnäckige Querulanten davon abhalten, ihre Beschwerde auch dann weiterzubetreiben, wenn sie von Hiegert schon als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde. Bisher genügte es, wenn der Beschwerdeführer einfach nur Widerspruch dagegen einlegte. Tat er dies, mussten drei Richter über seinen Fall entscheiden. Künftig soll ein Verfassungsrichter nur dann damit betraut werden, wenn der Beschwerdeführer eine seinem Einkommen angemessene Gebühr bezahlt. Die Gebühr soll „spürbar, aber leistbar“ sein, heißt es bei Gericht. Von maximal 5000 Euro ist die Rede.

Kritiker sehen die Gefahr, dass damit der Zugang zu dem versperrt wird, was Egon Hiegert die Kronjuwelen des Rechtsstaats nennt. Die Süddeutsche Zeitung kritisierte, der Vorschlag sei nur deshalb zustande gekommen, weil immer mehr Verfassungsrichter von Haus aus Rechtsprofessoren seien, die das routinierte Abarbeiten von Akten nicht gewohnt sind: „Ein Gericht hebt ab“, so das ungnädige Urteil.

Aber es gibt Druck von außen, die Verfahren zu straffen. Schon hat sich das höchste deutsche Gericht vom Gerichtshof für Menschenrechte eine Rüge eingefangen – wegen überlanger Prozessdauer. Ausgerechnet die Straßburger, maulen Mitarbeiter auf den Fluren von Karlsruhe, der Menschenrechtsgerichtshof schiebt doch selbst Tausende Verfahren vor sich her.

Andreas Voßkuhle, der junge, emsige Gerichtspräsident, hat die Reform zu seiner Sache gemacht und versucht, in Berlin die Politik für seine Idee einzunehmen. Er sagt: „Zu späte Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit.“
„Klarer Verfassungsbruch“ sei die Gebühr, befindet hingegen Bernd Schreiber. Zusammen mit Werner Korte sitzt er in der Kneipe „Zum Manni“ in Gelsenkirchen. Sie sind Verbündete im Kampf gegen die Justiz. Korte hatte schon einen Berg von Verfahren wegen der Betreuung seiner Kinder. Derzeit kämpft er gegen eine Mieterhöhung und beschäftigt damit diverse Gerichte. Schreiber, seit seiner Kindheit gehbehindert, streitet gegen die schlechte Behandlung von Behinderten im öffentlichen Nahverkehr und hat sich als allgemeiner Justizkritiker im Raum Gelsenkirchen einen zweifelhaften Namen gemacht.

Er geht gerne mal zu Gerichtsverhandlungen mit einem T‑Shirt, auf dem „Prozessbeobachter“ steht, und betreibt eine Website mit dem suggestiven Titel www . beamtendumm . de, auf der er die Verfehlungen von Richtern und Beamten auflistet und süffisant kommentiert. Meistens treffen sich die beiden Herren in einem Gemeindezentrum in Wuppertal zusammen mit anderen Aktivisten der Betrugsopferhilfe.

Es sind zumeist ältere Herren, die viel Zeit haben, um Gesetze und Verordnungen zu studieren, akribisch genug, jeden vermeintlichen oder tatsächlichen Verfahrensfehler anzuprangern und die Justiz mit ihren eigenen Waffen zu ärgern. Sie streiten gegen Willkür, tauschen per Internet Tipps zur Strafprozessordnung aus und erarbeiten Verbesserungsvorschläge für die deutsche Justiz. Es kursieren Expertisen, oft von pensionierten Amtsrichtern, aus denen neue Schriftsätze gestrickt werden können, in denen sie das Recht auf richterliches Gehör einklagen oder auf das Fehlen eines gesetzlichen Richters verweisen. Wenn sie sich treffen, zeigen sie sich ihre Schriftwechsel wie Trophäen vor. Sie streiten dann über juristische Details und werfen sich manchmal auch wechselseitig vor, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.

Bei Gericht nennt man solche Leute Querulanten, es gibt sogar eine passende Diagnose dazu, den „krankhaften Querulantenwahn“. Unter Experten ist umstritten, ob es dieses Krankheitsbild wirklich gibt, oder ob es nicht eher geschaffen wurde, um sich anstrengende Zeitgenossen vom Hals zu schaffen. Einig ist sich die Wissenschaft, dass solchen Menschen am Anfang ihrer Karriere häufig tatsächlich Unrecht geschehen ist, mit dem sie sich nicht abfinden können. Das Urbild des Querulanten ist Heinrich von Kleists wütender Michael Kohlhaas, über den Gerichtspräsident Voßkuhle jüngst sagte, für einen wie Kohlhaas gebe es „keine Differenz zwischen individueller Gerechtigkeitsvorstellung und allgemeinem Gesetz.“

Aber hilft gegen solche Zeitgenossen eine Gebühr?

In dem roten Band „Querulanz in Gericht und Verwaltung“, der auch in der Bibliothek des Verfassungsgerichts steht, einem der wenigen Bücher, in dem sich Psychologen mit dem Phänomen anhand empirischer Daten beschäftigen, steht zu lesen, ein wesentliches Bedürfnis vieler sogenannter Querulanten liege darin, die Aufmerksamkeit der Justizbeamten zu gewinnen. Es gebe nur ein Rezept: „Erfahrene Juristen berichteten, dass durch ausführliche Gespräche hartnäckige juristische Auseinandersetzungen beendet werden konnten“, schreiben die Autoren.

Auch Türhüter Hiegert sagt, er habe manchmal Leute am Telefon, denen er den Rat gebe, anstatt zu den Gerichten lieber zur Caritas oder zum Sozialamt zu gehen, weil man dort konkret etwas für sie tun könne. Er erinnert sich an eine alte Frau aus Berlin, die jeden Freitag um 15 Uhr angerufen hat. Er hat sich dann immer die halbe Stunde Zeit genommen. Man könne das natürlich nicht mit jedem machen, sagt Hiegert und deutet auf die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Manche Menschen seien in ihrem erlebten Unrecht eben auch gefangen.

Für Rainer Hoffmann ist das ein schwacher Trost. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer in Gelsenkirchen, die Frühlingssonne scheint durch die Balkontür. Gegenüber dem Schreibtisch hängt ein Erinnerungsfoto, als er 1997 zum Uefa-Cup-Finale mit Schalke in Mailand war. Auf dem Fernseher darunter Bilder von seinen beiden Nichten. Erinnerungen an Zeiten, in denen es in seinem Leben etwas anderes gab als Schriftsätze und Paragrafen. Der Kampf um sein Recht habe ihn einsam gemacht, sagt Hoffmann. Im Sommer droht die Zwangsversteigerung des Hauses. Im Moment sei an dieser Front aber erst mal Ruhe, „die rühren sich nicht, und ich rühre mich nicht“. Das könne aber auch daran liegen, dass er alle Behördenpost ungeöffnet ans Bundesverfassungsgericht weiterschicke.

Wäre es nicht einfach Zeit, Ruhe zu geben, schon aus finanziellen Gründen? Rainer Hoffmann schüttelt trotzig den Kopf: „Niemals. Damit rechnen die ja nur.“

ARD-MITARBEITER: Ich kann nicht mehr I

Es gibt einen Beitrag der von einem ARD-Mitarbeiter stammen soll. Allerdings war dieser Beitrag nur ganz kurz lesbar. Inzwischen muss man sich auf der Seite anmelden oder ein Passwort verwenden.

Da zu befürchten ist, dass der Beitrag wieder verschwinden könnte, wurde er auch hier nochmals gesichert. Allerdings auch wieder nicht öffentlich, weil nicht bekannt ist, warum der Beitrag im Original nicht mehr lesbar ist.

Vielleicht wird er zu einem späteren Zeitpunkt hier öffentlich lesbar sein. Im Moment geht es nur darum den Beitrag zu sichern.

ARD-MITARBEITER: Ich kann nicht mehr. II

LÜGENPRESSE: In Bochum versammelte sich unterdessen nur ein Dutzend Menschen auf dem Husemannplatz. … Abstandsregeln hielten die Demonstranten hier allerdings nicht ein.

Die WAZ (FUNKE-Gruppe) berichtet über die Demonstrationen anlässlich der Corona-Verordnung. Über die Demo in Bochum berichtete man:

In Bochum versammelte sich unterdessen nur ein Dutzend Menschen auf dem Husemannplatz. In Reden warnten sie etwa vor Zwangsimpfungen. Abstandsregeln hielten die Demonstranten hier allerdings nicht ein.

Es ist wieder mal unfassbar was sich die FUNKE-Gruppe (WAZ) da wieder erlaubt hat.

In Bochum versammelte sich unterdessen nur ein Dutzend Menschen auf dem Husemannplatz.

In Bochum versammelten sich also nur ein Dutzend Menschen auf dem Hansemannplatz. War das tatsächlich so, und wenn, warum war das so?

Richtig ist die Behauptung sicherlich nicht, aber auch nicht ganz falsch.

Weiterlesen „LÜGENPRESSE: In Bochum versammelte sich unterdessen nur ein Dutzend Menschen auf dem Husemannplatz. … Abstandsregeln hielten die Demonstranten hier allerdings nicht ein.“

Wer hat Angst vor Gerechtigkeit?

Der Sänger Xavier Naidoo wurde von einer Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung als Antisemit verleumdet. Dagegen klagte der Sänger aus Mannheim. Er gewann gleich zweimal.

Das Landgericht Regensburg gab ihm im Juli 2018 Recht. Sollte die Mitarbeiterin der Berliner Stiftung ihre Behauptung wiederholen, drohen ihr künftig ein Ordnungsgeld oder sogar bis zu einem halben Jahr Ordnungshaft.

Das gefällt der mächtigen Stiftung natürlich nicht besonders. Nicht jeder kann man soviel Gerechtigkeit leben. Kein Wunder also, wenn nun 2020 ein Video des Sängers im Internet auftaucht. In dem Video gibt der Sänger mit Migrationshintergrund ein Lied von sich, was er offenbar privat in seinem Hotelzimmer aufgenommen hatte, und sich mit dem Thema Ausländergewalt beschäftigt.

Weiterlesen „Wer hat Angst vor Gerechtigkeit?“

Medienskandal: RTL missachtet Kunst- und Meinungsfreiheit bei Xavier Naidoo

Da war doch mal was. Da gab es doch vor kurzem einen Medienskandal um den WDR. Im wieder her wurde ein Kinderchor instrumentalisiert, der aus dem Lied: „meiner Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ einen Medienskandal gemacht hatte, indem man die Omas zunächst zur Umweltsau erklärt hatte, und ein WDR-Mitarbeiter hatte dann den Vogel noch abgeschossen, indem er verbreitete, unsere Omas seien zwar keine Umweltsau gewesen, dafür aber eine Nazisau.

Beim WDR handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Sender. Heute zeigt uns RTL, dass auch die privaten Sender durchaus in der Lage sind einen Medienskandal zu produzieren.

Zu den beliebtesten Sendung bei RTL gehört Deutschland sucht den Superstar (DSDS). In dieser Sendung bewerten Dieter Bohlen und andere Experten die Gesangsleistungen von Nachwuchsstars. Auch Xavier Naidoo gehört dieser Jury an. Xavier Naidoo gehört zu den erfolgreichsten Sängern dieses Landes, und besitzt sogar einen Migrationshintergrund. Ein erfolgreicher Sänger mit Migrationshintergrund, das müsste doch eigentlich bei unseren Politikern, und auch in den Medien besonders gut ankommen, aber dummerweise hat der Sänger auch noch eine eigene Meinung, die nicht gerade Mainstream tauglich ist. Hartnäckig weigert sich Xavier Naidoo ein Loblied auf Merkels Einwanderungspolitik zu singen. Er wagt es sogar diese Politik, und das Verhalten mancher Zuwanderer zu kritisieren.

Weiterlesen „Medienskandal: RTL missachtet Kunst- und Meinungsfreiheit bei Xavier Naidoo“

Dietmar Seher berichtet über Frank E.

Dietmar Seher berichtet über Frank E, oder

wer Durchfall hat sollte keinen Kopfstand machen!

Dietmar Seher hat einen Beitrag über Frank E. und Dave veröffentlicht. Aus diesem Grund lohnt es sich mal im Internet zu recherchieren, wer denn dieser Dietmar eigentlich ist.

Die RUHRNACHRICHTEN schreibt über den Herrn:

Dietmar Seher hat als Korrespondent in Bonn und Brüssel, als Politikchef der Sächsischen Zeitung und in der Chefredaktion der Westfälischen Rundschau gearbeitet. Heute ist er für das Nachrichtenportal t-online.de tätig. Er wohnt in Dortmund.

https://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/dietmar-seher-au335722.html

Bevor auf dem Beitrag über Dave und Frank E. eingegangen wird, wollen wir uns mal andere Beiträge von Dietmar Seher ansehen.

Am 26.4.2019 veröffentlichte T-online.de einen Beitrag von Dietmar Seher unter der Überschrift

Über 40 Kinder missbraucht – Lügde: eine Chronik des Versagens

Über 40 Opfer, über 1.000 Taten: Die Missbrauchsfälle von Lügde sollen bald zur Anklage kommen. Aufgeklärt werden müssen auch Fehler der Behörden. Eine Chronik des Verbrechens – und des Versagens. …

https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_85640150/missbrauch-in-luegde-auf-dem-campingplatz-hat-immer-jemand-weggesehen.html

Dieser Beitrag über den Jugendamt-und Missbrauch Skandal müsste auch dem Autor klargemacht haben, dass unsere Jugendämter nicht gerade zu den fähigsten gehören.

Und bereits am 17.8.2014 findet man auf DERWESTEN einen Beitrag:

Die Langsamkeit der Justiz – von Dietmar Seher

… Der Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bundesrepublik 2010 gerügt, weil ihre Justiz einen Erbschaftsstreit über 17 Jahre und einen Sorgerechtsfall über neun Jahre geführt hat. Da war das Kind fast erwachsen. …

https://www.derwesten.de/meinung/die-langsamkeit-der-justiz-von-dietmar-seher-id9710592.html

Auch wenn es in dem Beitrag primär um die Justiz geht, geht es dennoch auch wieder um die Themen Jugendamt und Sorgerecht.

Auch auf YouTube wird man fündig. Hier findet man ein Video mit dem Titel:

„Kinderpornographie im Netz – das Problem ist noch viel größer“ von Dietmar Seher

In dem Video geht es um die Missbrauchsfälle auf dem Campingplatz Lügde.

Dieser Fall sollte eigentlich hinreichend bekannt sein. Ein Jugendamt hatte einem Mann, der nur in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz in Lügde wohnte ein Mädchen als Pflegekind gegeben. Dieser Pflegevater nutzte dieses Kind, um Kontakt zu anderen Kindern zu bekommen, die er dann sexuell missbrauchte. Hier handelte es sich aber nicht nur um einen Missbrauchskandal, wo der Pflegevater der Täter war, sondern es handelte sich auch mal wieder um einen Jugendamtskandal, denn es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wie es denn sein konnte, dass man einem alleinstehenden Mann, der in einem Wohnwagen lebte, ein Pflegekind geben konnte. Allgemein ist die Öffentlichkeit zu dem Ergebnis gekommen, dass hier ein Jugendamt mal wieder völlig versagt hat.

Im Rahmen der Aufarbeitung dieses Missbrauchsfall war später in der Zeitung zu lesen, dass man mindestens drei Eltern ihre Kinder weggenommen hätte, weil die auch in den Missbrauchsfall involviert waren. Tatsächlich ist aber diese Behauptung so nicht richtig gewesen. Richtig ist, dass es drei Pflegeeltern waren, denen man die vom Jugendamt anvertrauten Pflegekinder wieder weggenommen hatte, weil die Pflegeeltern die Pflegekinder zeitweise auch dem Täter überlassen hatte. Man sieht hier also, dass hier Jugendämter mehrfach versagt hatten.

Der Redakteur wohnt in Dortmund. Im Umkreis von 50 km gab es in den letzten Jahren weitere Jugendamtsskandale die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatten. Die Fernsehsendung MONITOR hatte einen Jugendamtskandal in Bochum, Dorsten und Gelsenkirchen aufgedeckt. Bezüglich Bochum ging es um die Life-Jugendhilfe des SPD-Stadtverordneten Gerhard Lichtenberger, und die skandalöse Unterbringung eines Kindes in Ungarn.

Bei dem Jugendamtsskandal Gelsenkirchen ging es darum, dass der Leiter des Jugendamts Gelsenkirchen, sowie sein Stellvertreter, ein eigenes Kinderheim in Ungarn betrieben, und von daher auch ein Interesse daran hatten dass das Kinderheim belegt ist. Es besteht von daher die Gefahr, dass man Kinder unnötigerweise aus Familiennamen, um das Kinderheim Ungarn voll zu bekommen.

2018 gab es dann in NRW noch zwei Todesfälle von Kindern, für die das Jugendamt Gelsenkirchen zuständig war. Das eine Kind wurde in Mühlheim getötet, das andere Kind wurde von seinem Pflegevater im Sauerland umgebracht. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch ein Redakteur in Dortmund davon etwas mitbekommen haben sollte. Zusätzlich gibt es aktuell einen weiteren Jugendamt Skandal, bei dem es um die Unterbringung von Kindern in Rumänien geht. Dieser Jugendamtsskandal ist von besonderem Interesse, weil es hier um den Verbund von zwei Hilfeträgern geht, die auch im Fall von Dave Möbius von Interesse sind. Bei dem deutschen Jugendhilfeträger WILDFANG GmbH war Dave bis zu seiner Flucht 2018 untergebracht. Wenn es dem Behörden erfolgreich gelungen wäre Dave Möbius erneut einzufangen, dann kann durchaus davon ausgegangen werden, dass auch Dave eine Unterbringung in Rumänien gedroht hätte.

Es gibt also viele Fälle, die auch der Redakteur Dietmar Seher kennen müsste, oder zumindest kennen sollte. Das ist hier sein Beitrag über Frank E. sowie über Dave, also über Frank Engelen und Dave Möbius.

Anklage in Chemnitz

Die verschwundenen Kinder und die „Reichsbürger“

Landschaft in den polnischen Masuren: Ein Video von Dave M. soll in den masurischen Wäldern entstanden sein. Doch auch die groteske Inszenierung führte Ermittler nicht auf die Spur des Verschwundenen. (Quelle: imago images

Die „Reichsbürger“-Szene verhilft Jugendlichen gezielt zur Flucht aus staatlicher Obhut. Davon gehen Ermittler aus. Ein 53-Jähriger muss sich jetzt vor Gericht verantworten.

Wo ist Dave? Polizei, Staatsanwälte und Jugendämter fahnden seit einem Jahr nach dem Verbleib eines damals 17-jährigen Jugendlichen. Er lebte bis zum Oktober 2018 in einer Jugendhilfeeinrichtung auf der Ostseeinsel Rügen. Dann verschwand er – bis heute spurlos.

Politisch brisant: Dave M. ist bei seiner Flucht wahrscheinlich von Personen aus dem Umfeld der „Reichsbürger“-Szene gezielt unterstützt und dann möglicherweise nach Osteuropa gebracht worden. Davon gehen Staatsanwälte in Chemnitz aus. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher, Frank E., sitzt in Sachsen in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess.

Kampf gegen angeblichen „Kinderklau“

Sogenannte „Reichsbürger“ erkennen Existenz und Autorität des deutschen Staates nicht an. Staatliches Handeln ist aus ihrer Sicht illegal und muss ignoriert oder notfalls abgewehrt werden. Verfassungsschützer beobachten die Szene und schätzen sie auf rund 19.000 Personen, knapp 1.000 von ihnen rechtsextrem. Einige sind Schusswaffen-affin. Eine Gruppe bedrohte zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Seit einiger Zeit gehen Aktivisten der Szene gegen die Inobhutnahme von Kindern durch den Staat vor, belästigen, verleumden und bedrohen Mitarbeiter. Die Unterstützung von Flucht aus Jugendhilfeeinrichtungen könnte dabei eine neue, verschärfte Gangart bedeuten. Denn staatliche Jugendämter, die zuletzt jährlich bis zu 40.000 vernachlässigte Jugendliche aus instabilen Familien herausholten, sind aus ihrer Sicht eine „Kinderklau-Mafia“.

„Wissen nicht, wo der Junge ist“

Für die „Reichsbürger“-Szene ist dieses Thema inzwischen ein zentraler Diskussionsstoff. Die angeblichen „Kindersklaven“ müssten aus den „Kinderknästen“ befreit werden. Auf einem Szene-Seminar in der Schweiz behauptete ein Referent laut Recherchen von Correctiv und des ZDF, deutsche Behörden nähmen Kinder in Obhut, um sie gleichgeschlechtlichen Paaren zur Pflege zu geben oder mit ihnen Rituale zu veranstalten.

Wo sich Dave derzeit aufhält, bleibt auch ein Jahr nach seinem Verschwinden völlig offen. „Wir wissen nicht, wo der Junge ist“, sagte die Chemnitzer Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart zu t-online.de. Es gebe Hinweise, er könne in Polen, in Tschechien oder auch in der Ukraine sein. Die Aktivisten begleiten ihre Aktionen mit zahlreichen Internetvideos. In einem offensichtlich inszenierten Video tritt der 17-Jährige nach seiner Flucht mit seinem leiblichen Vater auf – ein Treffen angeblich in den masurischen Wäldern.

Auch Mädchen geriet in die Fänge

Mit dem Ingenieur Frank E. sitzt seit Februar der mutmaßliche Haupttäter in U-Haft. Die Chemnitzer Ankläger werfen dem 53-Jährigen vor, verantwortlich für das Verschwinden von Dave M. zu sein – und ein entscheidender Drahtzieher in der Szene. Sie haben den Mann der zweifachen Kindesentziehung angeklagt. Der Prozess beginnt am 4. November. Über den Aufenthaltsort von Dave, den er laut Anklage über bislang unbekannte tschechische Mittelsmänner ins Ausland geschleust hat, will E. nichts wissen.

Er wird sich in diesem Prozess auch für die Entziehung eines heute 18-jährigen Mädchens aus Bocholt verantworten müssen. Das Mädchen hat nach einigen Wochen der Flucht durch Schrebergarten-Verstecke in Lübbecke und Bremen seine Mutter kontaktieren und sich aus dem Einflussbereich der Aktivisten lösen können.

Haft- und Geldstrafen bereits 2017

Für Dave ist der Kontakt mit der Szene nicht neu. Der 17-Jährige wurde schon einmal als Zwölfjähriger aus einem Heim im niedersächsischen Friedeburg „befreit“. Die Täter wurden 2017 zu Haft- beziehungsweise Geldstrafen verurteilt. Beim Prozess marschierten laut einem Bericht des „Ostfriesischen Kuriers“ zahlreiche Demonstranten „mit Nähe zur Szene der Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker“ auf.

Die Nähe zu den „Reichsbürgern“ vermutet die Staatsanwaltschaft in Chemnitz auch beim derzeitigen Untersuchungshäftling. Hinter E., der einen nach eigenen Angaben den „Lichtblick – Verein für Soziale Verantwortung“ führt, scheint eine größere Personengruppe zu stecken. Die habe E. mit Dave nach der vorgeworfenen Kindesentziehung aufgesucht. Das geht aus Internettexten seiner Freunde hervor und aus einem Video, auf dem Dave M. beteuert, er sei freiwillig mitgegangen. Er danke „den ganzen Leuten, die mir geholfen haben“.Ob und wie der Jugendliche möglicherweise unter Druck gesetzt wird, ist offen. Internettexte deuten darauf hin, dass ihm gesagt wurde, bei einer Rückkehr in deutsche Jugendhilfeeinrichtungen drohten ihm Organentnahmen. Der Angeklagte Frank E. kann bei einem Schuldspruch wegen Kindesentziehung mit Geldstrafe oder Haft bis zu fünf Jahren bestraft werden. Ein Gutachter hat ihm allerdings eine eingeschränkte Schuldfähigkeit attestiert.

Verwendete Quellen:

 

Beim Versuch die Linkadresse zu kopieren erscheint die Meldung:

  1. 404 That’s an error.

The requested URL / was not found on this server. That’s all we know.

Dies deutet also darauf hin, dass der Beitrag inzwischen wieder gelöscht wurde. Schon gestern, als der Beitrag noch abrufbar war, gab es dort keine Kommentarfunktion. Der Leser war also nicht in der Lage, den Unsinn von Dietmar Seher, der wohl eher ein geistig Blinder sein dürfte, zu kommentieren.

Eigentlich ist der Beitrag nur Schrott, wenn man jedoch bedenkt, dass der Beitrag von jemand veröffentlicht wurde, dem durchaus klar sein müsste, dass Jugendämter immer wieder massive Fehler begehen, dann muss man diesen Beitrag wohl als Frechheit bezeichnen.

Ich bemerke schon seit Jahren, dass sowohl die Bundeskanzlerin, als auch die jeweiligen Bundespräsidenten bei ihren Weihnachts-und Neujahrsansprachen regelmäßig mehr Zivilcourage von den Bürger fordern. Wenn dann jemand, wie zum Beispiel Frank Engelen, nicht mehr bereit ist, die Fehler von Behörden, insbesonders den Jugendämtern, und der Justiz tat-und wortlos hinzunehmen, wenn dann jemand wirklich mal Zivilcourage zeigt, dann wird er ganz schnell als angeblicher Reichsbürger oder angeblicher Rechtsradikaler diffamiert.

Weiterlesen „Dietmar Seher berichtet über Frank E.“

PROGRAMMTIPP: SPIEGEL-TV Magazin

Heute (Montag 02.09.2019) kommt auf RTL um 23:25 Uhr die Sendung SPIEGEL-TV Magazin. In der Sendung soll auch ein Beitrag über Kindesmisshandlungen in Rumänien gesendet werden.
Die Jugendhilfeeinrichtung WILDFANG GmbH betreibt dort eine Einrichtung für Kinder, die von deutschen Jugendämtern ins Ausland verbracht werden, mit der Begründung, dass diese Kinder in Deutschland nicht erziehungsfähig wären.
Bereits seit 2009 soll es Hinweise geben, dass es bei der Einrichtung in Rumänien zu Kindesmisshandlung kam. Jetzt wurden in Rumänien 3 Personen verhaftet.

SZ: In fremden Händen – ungekürzt Ursula K/Koch

In fremden Händen

Jugendämter greifen zunehmend in Familien ein und bringen Kinder in Heimen oder Pflegefamilien unter. Manche Entscheidungen der Ämter sind verheerend – und wer einmal in die Mühlen geraten ist, kommt so leicht nicht mehr heraus. Sechs Leidensgeschichten.

• Von: Katrin Langhans

• Rainer Stadler

  • In Deutschland gibt es rund 600 Jugendämter. Sie sind kommunale Behörden und sollen sicherstellen, dass Kinder geborgen und gesund aufwachsen. Sie planen Spielplätze, sie beraten Jugendliche, die sich beim Einstieg ins Berufsleben schwertun, sie unterstützen Eltern bei der Erziehung. Das Jugendamt soll aber nicht nur helfen, sondern auch kontrollieren, dass Kinder in ihren Familien nicht vernachlässigt oder misshandelt werden. Andernfalls kann es eine Inobhutnahme verfügen: Das Kind wird aus seiner Familie genommen und in einer Pflegefamilie oder einem Heim untergebracht. Die Zahl der Kinder, die Jugendämter aus ihren Familien nehmen, steigt: Vor zehn Jahren waren es rund 25 000 Kinder, vergangenes Jahr fast 50 000. In der Öffentlichkeit wird diese Entwicklung oft damit erklärt, dass Eltern mit ihrer Erziehungsaufgabe zunehmend überfordert seien. Es gibt aber Fälle, die eher den Verdacht nähren, dass ein Apparat außer Kontrolle geraten ist: dass Familien, die vielleicht Hilfe bräuchten, mit staatlicher Gewalt schikaniert und auseinandergerissen werden – mit wenig Rücksicht auf Gesetze und auf das Gut, das eigentlich über allem steht: das Kindeswohl.

Thomas Mörsberger — Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht: Ich werde zunehmend konfrontiert mit Fällen, bei denen in haarsträubender Weise Familien belastet werden durch völlig unberechtigte Interventionen, etwa in Form einer Fremdplatzierung per Inobhutnahme. Und ich spreche nur von Fällen, bei denen das Jugendamt dies auch – natürlich nicht öffentlich – zugegeben hat. Den Optimismus, dass durch massives Eingreifen per se das Gute passiere, kann ich nicht teilen.

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, ehemalige Justizsenatorin in Hamburg und Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass sowohl Familiengerichte als auch Jugendämter Kinder oft zu schnell und ohne notwendige Ermittlung von Alternativen in Obhut nehmen beziehungsweise von den Eltern trennen. Und dass sie sich auch bei der Rückgabe von fremd-untergebrachten Kindern an die Eltern zögerlich und damit pflicht- und verfassungswidrig verhalten.

Fall 1

 

Ursula K.*, Bremen — Mutter von Faruk*: Als ich schwanger wurde, war ich bereits seit einem Jahr mit Jusuf in einer On-off-Beziehung. Er hat mich oft bedroht und geschlagen, trotzdem hing ich an ihm – emotional und auch finanziell. Zwei Monate vor der Geburt habe ich beim Jugendamt darum gebeten, dass ich in ein Mutter-Kind-Haus gehen darf, um Abstand von ihm zu gewinnen. Ich hatte mich selbst um einen Platz in Hamburg gekümmert. Es fehlte noch eine Zusage, dass die Kosten vom Jugendamt übernommen werden. Stattdessen genehmigte man mir eine Familienhilfe und eine Hebamme. Wird schon, sagte man mir, Sie werden ja jetzt alle eine Familie. Später habe ich aus den Akten erfahren, dass das Jugendamt am nächsten Tag Kontakt zum Krankenhaus aufnahm, wohl um die Inobhutnahme zu planen.

Fall 2

 

Karin E.*, Siegburg — Mutter von Claudia*, 16: Der Klassenlehrer hatte Claudia und mich offensichtlich auf dem Kieker: Claudia war von drei Jungs vor den Schulbus geschubst worden, ich berichtete ihm davon. Statt die Jungs zur Rechenschaft zu ziehen, beschwerte er sich, dass ich Claudia nun mit dem Auto zur Schule brachte. Sie müsse selbstständiger werden. Außerdem sei sie zu dick, sie solle sich mehr bewegen und gesünder essen. Er mobbte sie wiederholt vor der ganzen Klasse, und zog auch über mich vor der Klasse her, weil ich mich wiederholt bei ihm beschwert hatte. Dabei hatte Claudia gute Noten, vor allem in Englisch, in Mathe war sie sogar die Klassenbeste. Ich wandte mich an die Direktorin. Sie sagte: Mobbing gibt es nicht an unserer Schule. Immer öfter hatte Claudia starke Bauchschmerzen, wenn sie zur Schule ging, ihre Fehlzeiten häuften sich, wir waren oft beim Arzt.

Ich war damals selbstständig und privat versichert. Als die Geschäfte schlecht liefen, wollte ich in die gesetzliche Versicherung, wurde aber zunächst nicht aufgenommen. Deshalb zahlte ich die ärztliche Versorgung von Claudia privat, was auch keine nennenswerten Probleme verursachte. Als jedoch die Direktorin davon erfuhr, schaltete sie das Jugendamt ein. Sie erzählte den Mitarbeitern auch, Claudia werde immer unförmiger und dicker.

Fall 3

Ralf S.*, München — Vater von Lisa*: Im September 2012 erlitt meine Partnerin, die Mutter meiner Tochter Lisa, eine heftige psychische Erkrankung. Ich war noch in Trennung und lebte damals noch nicht bei den beiden. Deshalb bekam ich den Zusammenbruch nicht sofort mit. Meine Partnerin wurde in eine Klinik eingeliefert und Lisa vom Jugendamt in ein Heim gebracht. Als ich davon hörte, eilte ich in dieses Heim und stellte mich als Vater von Lisa vor. Dann erfuhr ich, dass sich meine Partnerin von Mördern verfolgt fühlte und mich beschuldigte, ich hätte Lisa missbraucht. Das Amt verwehrte mir sechs Wochen jeden Kontakt zu Lisa.

Fall 4

Linda N., Hannover — Mutter von Anna: Mein damaliger Freund wollte von Anfang an nichts mit Anna zu tun haben. Schon während der Schwangerschaft hatte er gesagt, ich solle das Kind doch abtreiben. Ich hoffte, dass wir doch noch eine Familie werden, aber als Anna eineinhalb Jahre alt war, trennten wir uns. Anna wohnte bei mir, mein Ex weigerte sich, Unterhalt zu zahlen. Nach etwa einem Jahr, er hatte nun eine neue Freundin, änderte sich seine Einstellung schlagartig. Er verlangte mehr Umgang mit Anna. Gleichzeitig verbreitete er Unwahrheiten über uns: Als ich von Hannover wegzog, warf er mir zum Beispiel vor, ich wolle Anna entführen. Er teilte dem Jugendamt mit, Anna werde von mir völlig von der Außenwelt isoliert und wachse ungesund auf. Wir wohnten damals neben einer Apfelplantage, Anna hatte einen Hund und natürlich auch Freunde. Das Gericht beschloss schließlich, das Kind müsse den Vater öfter sehen.

Anna N. (16): Ich weiß, dass ich schon damals nicht gern zu ihm gegangen bin. Seine neue Freundin wollte, dass ich »Mutter« zu ihr sage, darauf hatte ich keine Lust. Außerdem haben sie immer schlecht über meine Mutter und ihre Familie geredet. Ich erinnere mich an ein paar schöne Ausflüge und teure Urlaube mit ihm, aber eben auch daran, dass er mich immer ziemlich unter Druck gesetzt hat. Er war ein fanatischer Sportler und verlangte von mir ständig mehr – dass ich bessere Noten schreibe, abnehme, solche Geschichten.

Fall 5

Guido W.*, Bonn — Vater von Larissa*: Vier Jahre nach der Geburt von Larissa trennten sich die Wege meiner damaligen Partnerin und mir. Larissa wohnte bei ihr, aber ich besuchte sie regelmäßig, wir hatten ein richtig tolles Verhältnis. Das änderte sich, als meine Ex-Partnerin nach einem Schlaganfall aus dem Krankenhaus kam. Ich hatte einen Platz für sie und Larissa in einem Mehrgenerationenhaus organisiert. Aber meine Ex entschied sich, bei einer Freundin einzuziehen. Meine Ex-Partnerin ist nachgewiesenermaßen psychisch krank. Diese Freundin auch. Und sie hat eine Toch-ter, die nach Angaben ihrer Schule Zeichen von Verwahrlosung zeigte. Es wurde zunehmend schwierig für mich, an meine Ex-Partnerin und meine Tochter heranzukommen.

Fall 6

Stefanie R., Lambrecht / Pfalz — Pflegemutter von Luca: Luca hatte einen schwierigen Start ins Leben. Im Alter von vier Wochen erkrankte er an Lungenentzündung und Keuchhusten. Das hat ihn fast das Leben gekostet. Er lag fast vier Wochen im Koma, mehrere Monate auf der Intensivstation, und war deshalb in seiner Entwicklung verzögert. Ich betreue zusammen mit einer Kindergärtnerin seit Jahren Kinder, die sehr viel Pflege brauchen. Als Luca mit acht Monaten im November 2008 zu uns kam, musste er mit Sauerstoff versorgt werden und war an einen Monitor angeschlossen, der seine Lungenwerte überwachte und bei jeder Abweichung von den Normwerten einen piepsenden Alarm auslöste, auch nachts.

Die Mutter, die noch drei andere Kinder hatte, war mit Luca von Anfang an überfordert. Den Vater, der auch noch vier weitere Kinder hatte, beschuldigte sie, er sei ihr gegenüber gewalttätig gewesen. Sie hatte ihn deswegen angezeigt. Beide Eltern haben sich in den ersten Jahren kaum erkundigt, wie es Luca geht, oder ihn gar besucht. Sie hatten, wie es schien, genug andere Probleme.

Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter: Viele Eltern erleben das Jugendamt als Kontrolle und nicht als Hilfe. Das hängt viel mit dem Verhalten der Jugendamtsmitarbeiter zusammen und ist bedauerlich: Die meisten Eltern sind in Situationen, in denen sie ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, einfach überfordert. Erleben diese Eltern das Jugendamt nur als Kontrolle und Machtfaktor, werden sie sich in der Not nicht mehr an dessen Mitarbeiter wenden. So wird wirkungsvolle Hilfe verhindert, die viel Leid und Misshandlung in den Familien vermeiden könnte.

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Das Jugendamt sieht sich einer Gemengelage von Aufgaben gegenüber, die für die Mitarbeiter kaum unter einen Hut zu bringen ist. Die Behörde soll einerseits Eltern beraten und ihnen helfen. Andererseits soll sie gegebenfalls Kind und Eltern durch eine Inobhutnahme ohne vorherige richterliche Überprüfung oder Anordnung voneinander trennen. Dafür reicht, dass die Mitarbeiter in quasi richterlicher Funktion eine Situation als »Gefahr« für das Kind einschätzen. Eine richterliche Kontrolle findet auch im Nachhinein dann nicht statt, wenn die betroffenen Eltern gegen dieses Verfahren keinen Einspruch erheben – was sie oft nicht tun, weil sie ohnehin keine Chance sehen.

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: In manchen Städten, zum Beispiel in Hamburg und Bremen, hat ein Jugendamtsmitarbeiter hundert Fälle gleichzeitig zu bearbeiten. Dieser Notstand führt dazu, dass viele Jugendamtsmitarbeiter nicht mehr ihr Büro verlassen und in ihren Berichten Defizite von Leuten – also meistens Eltern – beschreiben, die sie noch nie gesehen haben.

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Tragödien wie der Fall Kevin in Bremen oder der Fall Chantal in Hamburg, die massive Kritik an den Behörden nach sich zogen, haben natürlich dazu beigetragen, dass die Jugendämter heute lieber zu früh eingreifen als zu spät. Das Problem ist allerdings, dass viele Ämter äußerst zurückhaltend sind, eine Herausnahme von Kindern wieder rückgängig zu machen. Obwohl die höchsten Gerichte herausgestellt haben, dass die Rückführung der Kinder in ihre Familien das oberste Ziel amtlichen Handelns sein sollte.

Reinhard Wiesner — Rechtswissenschaftler, langjähriger Ministerialrat im Bundesfamilienministerium:
Das Recht hat hohe Hürden errichtet, bevor der Staat in das Sorgerecht der Eltern eingreifen darf. Zum einen muss das Kindeswohl gefährdet sein. Das ist aber schon die erste Schwierigkeit: Was bedeutet Gefährdung des Kindeswohls? Das lässt sich ja nicht wie mit einem Fieberthermometer messen. Die Kindeswohlgefährdung allein reicht aber noch nicht. Gericht und Behörden müssen auch nachweisen, dass die Eltern aller Voraussicht nach nicht in der Lage sind, diese Gefährdung abzustellen. Die Gerichte und Behörden müssen also zusätzlich eine Prognose abgeben. Das birgt die Gefahr, dass Entscheidungen getroffen werden können, die sich im Nachhinein als falsch erweisen.

Ursula K., Bremen — Mutter von Faruk (Fall 1): Mein Sohn Faruk wurde am 26. Mai 2012 um 1:35 Uhr geboren. Fünf Minuten später hat man ihn mir weggenommen. Ich erfuhr nichts, keine Größe, kein Gewicht, die Ärzte sagten nur, er müsse schnell auf die Kinderintensivstation. Als ich nachts um fünf zur Pforte lief, um nach ihm zu sehen, ließ man mich nicht rein. Am nächsten Morgen um elf Uhr kam ein Mann vom Jugendamt Vechta. Er eröffnete das Gespräch mit den Worten: Wir haben Ihr Kind in Obhut genommen. Ich fragte ihn: Warum? Er schüttelte nur den Kopf: Frau K., wie wollen Sie das Ruder nur wieder rumreißen? Ich war fassungslos, dass man mir mein Kind wegnimmt, bevor ich überhaupt als Mutter hätte versagen können. Vor Gericht habe ich später erfahren, dass das Jugendamt befürchtete, mein Freund würde dem Kind etwas antun.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2):
Das Jugendamt beanstandete, Claudia sei zu unselbstständig und habe zu hohe Fehlzeiten in der Schule. Ich solle Erziehungshilfen annehmen. Dass Claudia in der Schule gemobbt wurde, hat die Sachbearbeiterin nicht interessiert. Ich lehnte die Erziehungshilfe ab, weil ich schon eine andere Tochter allein großgezogen hatte, die heute als Anwaltsgehilfin arbeitet. Gut, dann sehen wir uns vor Gericht, sagte die Frau vom Jugendamt.

Ralf S. — Vater von Lisa (Fall 3):
Sechs Wochen nach Einlieferung in die Klinik war meine Partnerin medikamentös gut eingestellt. Sie fühlte sich nicht mehr von Mördern verfolgt und zog sämtliche Vorwürfe gegen mich zurück. Anfang November 2012 sprachen wir mit der Heimleitung und wollten wissen, wann wir Lisa zurückbekommen. Aber wir bissen auf Granit. Man erklärte uns, dass Lisa ein Jahr im Heim bleiben werde. Wir konnten das nicht verstehen, schließlich war Lisa doch nur wegen der Erkrankung meiner Partnerin ins Heim gelangt.

Trotz wiederholter Nachfrage war auch das Jugendamt nicht bereit, einen Grund zu nennen, warum meine Tochter nicht zu mir zurückkommen sollte – ich war immerhin der rechtmäßige Vater, und von mir war nie eine Kindeswohlgefährdung ausgegangen. Als meine Anwältin eine Antwort verlangte, entgegnete ihr der Leiter des katholischen Heims: Sie sind ja gar nicht so schlicht, wie Sie aussehen.

Meine Partnerin und ich hatten schon früh den Eindruck, dass es um finanzielle Interessen ging. Bei der Einsicht der Akten fanden wir dann ein Dokument, aus dem hervorging, dass Lisa nicht nur ein Jahr im Heim bleiben sollte, wie man uns gesagt hatte, sondern sogar zwei Jahre. Als voraussichtliche Kosten für die Unterbringung waren 150 000 Euro veranschlagt. Das Heim hatte also handfeste Gründe, unsere Tochter von ihren Eltern zu entfremden und so lange wie möglich zu behalten.

Anna N. (Fall 4): Als ich in die Pubertät kam, hat mich mein Vater zunehmend wegen meines Äußeren kritisiert. Einmal regte er sich auf, dass ich schon einen BH trug. Und dann hat er mir auch mal von hinten an die Brust gefasst. Ich habe geschrien, er solle sofort damit aufhören. Dieser Vorfall war anschließend Thema einer Routine-Untersuchung durch meine Ärztin: Sie fragte mich, ob ich schon mal über den Tod nachgedacht habe. Ich sagte Ja. Und über Suizid? Ich hatte mich zu der Zeit gerade heftig mit meiner Mutter gestritten und sagte: Klar, auch. Daraus schloss die Ärztin, ich sei suizidal. Sie sagte meiner Mutter, sie solle mich umgehend in eine psychiatrische Klinik bringen.

Linda N. — Mutter von Anna: In der Klinik sagte der leitende Arzt nach der Untersuchung: Vergessen Sie mal Ihre Tochter, die bekommt jetzt einen Reset, damit sie ihre beschissene Vergangenheit vergisst. Ich fragte ihn: Wovon reden Sie eigentlich?

Anna N.: Die haben tatsächlich Reset gesagt. Und dass sie mich neu programmieren wollten.

Linda N.: Ich habe sie sofort herausgeholt, um sie von einer anderen Psychologin untersuchen lassen. Ihr Befund: Das Kind hat absolut gar nichts. Trotzdem hat uns der Vater beim Jugendamt angeschwärzt und forderte, mir das Sorgerecht zu entziehen. Das Jugendamt ist voll darauf angesprungen, das Gericht ebenso: Eine Psychologin wurde beauftragt, um mich und meine Tochter zu untersuchen. Sie kam zum Schluss, wir hätten eine symbiotische Beziehung, Anna könne sich bei mir nicht richtig entwickeln.

Guido W. — Vater von Larissa (Fall 5): Von verschiedenen Seiten wurde mir zugetragen, dass Larissa in ihrer neuen Um- gebung verwahrloste. Ihre Noten in der Schule brachen ein, im Winter kam sie mit kaputten Sandalen zur Schule, völlig verdreckt. Auch ihre Klassenlehrerin machte sich Sorgen. Weil meine Ex-Partnerin nicht mit mir oder der Lehrerin über Larissa reden wollten, wandte ich mich ans Jugendamt. Die Klassenlehrerin meldete sich dort ebenfalls. Doch niemand im Amt wollte sich ernsthaft mit uns unterhalten. Obwohl das Gericht beschlossen hatte, dass mich meine Tochter regelmäßig besuchen sollte, ließ meine Ex-Partnerin alle Umgänge platzen. Ich bekam Larissa nicht mehr zu Gesicht, aber das Jugendamt unternahm nichts. Es setzte sich aber dafür ein, dass mir vor Gericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für meine Tochter entzogen wird – mit Erfolg.

In den nächsten Monaten spitzte sich die Angelegenheit stark zu: Die Tochter der Frau, mit der Larissa und meine Ex-Partnerin zusammenwohnten, unternahm mehrere Selbstmordversuche. Daraufhin äußerte auch Larissa in einer SMS an einen Mitschüler Suizidgedanken. Die Schule, die mit unserem Fall betraute Richterin und ich: Wir alle drängten das Jugendamt, tätig zu werden. Die Reaktion war eine Risikoeinschätzung des Amts, voller Fehler und mit der Entwarnung: In beiden Fällen be-stehe keinerlei Gefahr. Die Kinder seien von ihren Müttern bestens betreut.

Stefanie R. — Pflegemutter von Luca (Fall 6): Zu unserer Freude und zum Erstaunen der Behörden und Ärzte entwickelte sich Luca sehr gut bei uns. Mitarbeiter des Jugendamts sagten mir, es wäre das Beste für den Jungen, wenn er bei uns bleibt. Anfang 2011 wurde allerdings das Jugendamt umstrukturiert, die Mitarbeiter, die unseren Fall betreut hatten, gingen, andere kamen. Außerdem wurde Lucas Fall an einen externen Jugendhilfeträger ausgelagert. Ich merkte schnell, dass die Mitarbeiterin dieses Trägers bestrebt war, Luca in seine Herkunftsfamilie zurückzuführen – obwohl die Eltern mir gegenüber nie geäußert hatten, dass sie Luca gern zurückhätten. Zudem schrie Luca vor den Besuchsterminen seiner Eltern oft und kam dann völlig verweint zurück. Leider schwenkte auch das Gericht 2012 auf den neuen Kurs ein. Luca lebte damals schon drei Jahre bei uns. Natürlich war er mir ans Herz gewachsen. Ich appellierte, dass Luca bleiben solle, wo es ihm gut ging. Das wurde mir als unprofessionell ausgelegt: Ich sei nicht imstande, das Kind loszulassen.

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: Oft habe ich in Sorgerechtsverfahren den Eindruck: Hier sitzt ein Dutzend Experten, deren einziges Ziel es ist, herauszuarbeiten, wie schlecht die jeweiligen Eltern für ihr Kind sind. Das gilt besonders, wenn die Inobhutnahme bereits erfolgt ist: Das Jugendamt wie auch das Gericht haben dann ja ein großes Interesse, wirklich etwas zu finden, was sie den Eltern vorwerfen können. Sonst hätten sie ein Kind zu Unrecht aus der Familie genommen und quasi eine Menschenrechtsverletzung begangen.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Am 4. Juni, meinem Geburtstag, war die Anhörung vor dem Amtsgericht Vechta. Ich war mir sicher, dass ich meinen Sohn so schnell wiederbekomme, wie man ihn mir weggenommen hatte. Ich war überzeugt, dass das alles ein Missverständnis ist und ich den Kleinen mit zu mir nehmen darf. Stattdessen hat mir das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Im Juli 2013 erhielten wir die Ladung. Je näher der Termin rückte, umso schlechter ging es Claudia. Sie hatte noch nie vor Gericht ausgesagt, außerdem hatte sie Angst, nach längerer Zeit wieder ihren Vater zu sehen, der auch vorgeladen war. Er hatte uns vor Jahren massiv bedrängt und gestalkt, deshalb war ihm gerichtlich verboten worden, sich uns zu nähern. Ich ging einen Tag vor dem Termin zur Richterin und bat um einen separaten Termin für Claudia, ohne Vater. Die Richterin sagte, das komme nicht in Frage, und setzte das Näherungsverbot einfach außer Kraft. Ich sagte, eine Richterin, die sich so wenig um das Wohl eines Kindes schert, akzeptiere ich nicht. Ich reichte einen Befangenheitsantrag ein.

Der Termin kam tatsächlich nicht zustande, aber das Jugendamt hatte längst beschlossen, mir Claudia wegzunehmen. Es wurde ein neuer Termin angesetzt. Die Richterin fragte, warum ich keine Krankenversicherung habe. Ich sagte, die würde monatlich 1300 Euro kosten, das könne ich mir im Moment nicht leisten. Die Richterin sagte, Claudia sei oft unentschuldigt dem Unterricht ferngeblieben. Ich entgegnete, das sei nicht wahr: Ich hatte der Schule jedesmal ein ärztliches Attest vorgelegt. Die Richterin winkte ab und sagte, die Fehlzeiten meiner Tochter seien zu hoch. Ob ich damit einverstanden sei, dass sie jetzt vom Jugendamt untersucht wird. Als ich ablehnte, sagte die Richterin: Gut, dann entziehen wir Ihnen das Sorgerecht. Ich war perplex. In der Ladung war vom Sorgerecht keine Rede gewesen, deshalb hatte ich mir auch keinen Anwalt genommen. Aber die Entscheidung war eh schon vorher gefallen. Die Richterin brachte den fertigen Beschluss bereits zur Verhandlung mit, und noch bevor sie ihn verlas, tauchten zwei Mitarbeiter des Jugendamts in der Schule auf, um meine Tochter mitzunehmen.

Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter: Leider ist es gängige Praxis, Kinder nach einer Inobhutnahme für mehrere Tage oder Wochen von ihren Eltern zu isolieren. Es heißt dann, sie sollen sich erst mal auf ihr neues Leben einstellen. In Wirklichkeit hilft diese Praxis nur den Mitarbeitern der Jugendhilfe, indem sie es Pflegefamilien und Heimen leichter macht, da sie sich zunächst einmal nicht mit den leiblichen Eltern auseinandersetzen müssen. Oft fürchtet man, Kontakte zu den Eltern machten die Kinder rebellisch oder traurig und verhinderten die Akzeptanz der Fremdunterbringung. Diese Praxis ist ein Unding! Die Kinder sollen sich mit den Gründen der Fremdunterbringung auseinandersetzen. Sie sollen wissen, dass es ihre Eltern noch gibt, dass die Eltern sich für die Kinder interessieren, auch, dass sie darum kämpfen, die Kinder wieder zu sich zu holen. Pflegeeltern und Betreuer müssen das aushalten.

 

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin: Im Paragraf 42 des Achten Sozialgesetzbuches ist klipp und klar festgehalten, dass dem Kind bei einer Inobhutnahme unverzüglich die Möglichkeit zu geben ist, einen Menschen seines Vertrauens zu benachrichtigen. Aber die Jugendamtsmit-arbeiter haben leider oft große Mühe, den gesetzlichen Vorgaben zu folgen.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Meine Tochter wurde eine Woche in einer Klinik zwangsuntersucht. Dann kam sie in eine Pflegefamilie. Sie hatte während dieser Zeit absolutes Kontaktverbot; ich wusste nicht, wo sie ist. Sie durfte weder mich anrufen noch ihren heißgeliebten Großvater, der in dieser Zeit Geburtstag hatte. Am 2. Dezember gab es dann ein Gespräch beim Jugendamt, ein Jugendhilfeplangespräch. Als Claudia mich sah, brach sie zusammen. Es ging ihr elend. Ich erfuhr, dass sie fünfzig Kilometer von ihrem Zuhause in einer Pflegefamilie untergebracht war. Dort sollte sie dauerhaft bleiben, damit sie die Möglichkeit habe, sich selber zu entfalten, wie das Jugendamt es ausdrückte. Sie wohnte nun zwei Stunden entfernt von ihrer Schule. Weil sich der Bus im Winter oft verspätete, erwog das Jugendamt, dass Claudia erst zur zweiten Unterrichtsstunde erscheinen müsse. Und das, nachdem man mir vorgeworfen hatte, meine Tochter habe so hohe Fehlzeiten in der Schule!

Anna N. (Fall 4): Am 21. Oktober 2013 hatten wir in der vierten Stunde Politik, da klopfte es an der Klassentür: Es waren zwei Frauen vom Jugendamt. Sie holten mich aus der Klasse raus und sagten: Wir haben hier einen Gerichtsbeschluss, du kommst ins Heim. Als ich fragte, ob ich meine Mutter verständigen und mich von meiner Klasse verabschieden könne, sagten sie: Nein, dazu ist jetzt keine Zeit.

Linda N. — Mutter von Anna: Die Nachricht von meinem Anwalt, mir sei das Sorgerecht für Anna entzogen worden, hat mich wie ein Schlag getroffen. Ich bin mit meiner Mutter zum Jugendamt, um zu erfahren, warum. Die zuständige Mitarbeiterin sagte, man sei zur Einschätzung gekommen, ich könne zusammen mit Anna einen erweiterten Suizid begehen. Ich hab die Frau angeguckt und gesagt: Wie kommen Sie dazu? Sie kennen mich doch gar nicht!

Mir wurde erklärt, dass ich ab sofort keinen Anspruch mehr auf Unterhalt und Kindergeld habe, dafür aber für den Heimplatz von Anna zahlen müsse. Ich sagte, dass ich für Anna gern ein paar persönliche Sachen und Klamotten zusammenpacken wollte. Die Frau vom Jugendamt entgegnete, das sei nicht nötig, das könne man ja alles kaufen. Da platzte mir der Kragen. Ich sagte: Wenn Sie ihr die Sachen nicht bringen, mache ich Sie rund wie einen Buslenker!

Stefanie R. — Pflegemutter von Luca (Fall 6): Am 24. Oktober 2012 stand wieder ein Besuch von Luca bei seinen leiblichen Eltern an. Ihm ging es aber sehr schlecht an dem Tag, also bin ich zum Arzt, habe mir ein Attest geben lassen und ans Jugendamt gefaxt, dass Luca nicht zum Umgangstermin kommen kann. Da es noch mild war, ging ich mit Luca ein paar Schritte auf unserer Straße entlang. Da fuhr ein Auto mit zwei Damen des Jugendamts vor. Luca solle sofort beim Amtsarzt untersucht werden, sagten sie. Sie packten ihn und setzten ihn ins Auto. Das war für lange Zeit das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin: Der Wille des Kindes sollte erhört werden – je älter die Kinder sind, umso mehr. Sie haben das Recht, sich zu äußern – oder sich auch nicht zu äußern.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Obwohl die Untersuchung in der Klinik ergeben hatte, dass Claudia psychisch und physisch gesund sei und keine Kindeswohlgefährdung vorliege, bestand das Jugendamt darauf, dass Claudia in der Pflegefamilie bleibt. An diesem Gespräch nahm auch Claudia teil. Sie sagte immer wieder, dass sie zurück zu ihrer Mutter will. Sie klammerte sich an mir fest und weinte unentwegt. Die Mitarbeiter des Jugendamts forderten mich auf zu gehen und drohten mit der Polizei. Ich hörte Claudia noch schreien, nachdem ich den Raum verlassen hatte. Zu Hause klingelte dann das Telefon: das Jugendamt. Ich könne Claudia nun doch zu mir nehmen.

Anna N. (Fall 4): Das mit der symbiotischen Beziehung, die ich angeblich zu meiner Mutter habe, war nicht mehr aus der Welt zu kriegen. Egal mit wem ich sprach, mit meiner Verfahrensbeiständin, mit dem Jugendamt, mit dem Richter – sobald ich sagte, ich will bei meiner Mutter leben, hieß es: Das sagst du doch nur, weil deine Mutter dir das vorgesagt hat. Was ich wollte, hat niemand ernst genommen. Ich kam mir komplett verarscht vor.

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: Wer garantiert eigentlich, dass eine Heimunterbringung wirklich besser ist als das angeblich defizitäre Zuhause? Niemand.Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter Im Selbstverständnis mancher Mitarbeiter der Jugendhilfe, sei es in Heimen oder im Jugendamt, ist die Ursache der Fremdunterbringung stets das Versagen der Eltern. Diese Sichtweise verleitet dazu, die eigene Funktion und Rolle pauschal gegen die Eltern abzugrenzen, als sei für das Kind alles besser als seine Eltern. Zum Wohl des Kindes ist es jedoch wichtig, tatsächlich anzuerkennen und zu würdigen, dass es leibliche Eltern hat.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Als ich die Pflegeeltern zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Diese Frau, weit über sechzig, soll sich um mein Kind kümmern? Der Mann war sogar noch älter.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Claudia hatte von ihrem neuen Leben in der Pflegefamilie heimlich Fotos gemacht. Ihr Zimmer lag im Keller und war mit Fliesenboden, einem Bett und einem Fernseher ausgestattet, die Fenster waren vergittert. Es befanden sich noch zwei weitere Pflegekinder im Keller, zum Wohnbereich der Familie selbst hatten sie keinen Zutritt, der Pflegevater wollte ungestört bleiben. Die Matratze in Claudias Zimmer hatte Blutflecken, eine andere Matratze war an der Unterseite angekokelt. Das Schloss in der Zimmertür war halb herausgebrochen. Diese Bilder haben uns gerettet, als das Gericht mir im Frühjahr 2014 erneut das Sorgerecht entziehen wollte. Die Richterin war sichtlich schockiert und ich bekam das Sorgerecht und das Aufenthaltbestimmungsrecht für meine Tochter zurück. Fürs Erste jedenfalls.

Anna N. (Fall 4): Das Heim lag etwas außerhalb von Gifhorn. Ich wurde in mein neues Zimmer geführt: ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank, ein Schreibtisch, das war’s. Das Ganze war in einer Art Wohnung mit Küche und Wohnzimmer, die ich mit fünf Jungs geteilt habe. Mir wurde ja gesagt, ich sei nun im Heim, damit ich mich normal entwickeln kann. Aber wie soll man sich dort normal entwickeln? Wir hatten mehrere Straffällige im Heim, Jungs, zwei Köpfe größer als ich, die Spaß daran hatten, mich mit der Bettdecke fast zu ersticken. Einer hat mir angedroht, mich unter Drogen zu setzen und dann zu vergewaltigen. Und Weihnachten habe ich unter anderem mit zwei Jugendlichen verbracht, die ein paar Wochen später eine Lagerhalle angezündet haben. In der Schule, die ich dort besuchte, war ich natürlich eine Außenseiterin, die Asoziale aus dem Heim. Ich war komplett ausgeschlossen von der Welt, es gab kein Internet, ich konnte niemanden aus der Klasse zu mir einladen oder auch großartig besuchen, weil ich immer früh am Abend im Heim sein musste.

Stefanie R. — Pflegemutter von Luca (Fall 6): Über Umwege erfuhr ich, dass Luca zunächst für zwei Monate in eine Pflegefamilie gekommen war und dann erst zu seinen leiblichen Eltern, die bald darauf nach Kaufbeuren zogen. Es kam, wie ich es befürchtet hatte: Luca fühlte sich in seiner neuen Umgebung überhaupt nicht wohl, die Berichte des dortigen Jugendamts beschrieben ihn als schwer traumatisiertes Kind, das einkotete und mit dem Kot die Wände beschmierte. Er kam in die Psychiatrie und dann in ein Heim, den leiblichen Eltern wurde das Sorgerecht wieder entzogen.Thomas Saschenbrecker — Familienrechtsanwalt Ich habe mir mal die Besuchsordnung des Stasi-Gefängnisses Bautzen durchgelesen. Die war humaner als die meisten Regelungen beim Umgang von Eltern, denen das Sorgerecht entzogen wurde, mit ihren Kindern.

Ralf S. — Vater von Lisa (Fall 3): Trotz wiederholter Bitten durfte ich von November 2012 bis Februar 2013 nur zwei Stunden pro Woche mit meiner Tochter verbringen. Lisa weinte oft und klammerte sich an mich, wenn ich das Heim wieder verlassen musste. Mehrfach musste das Personal sie von mir losreißen. Man wollte Lisa offensichtlich von mir entfremden. Das Heim verlassen, mal in den Zoo gehen oder zum Spielplatz? War mir ohne Begründung untersagt.

Guido W. — Vater von Larissa (Fall 5):
In der Risikoeinschätzung wurde mir vom Jugendamt angelastet, ich sei schuld an Larissas Suizidäußerungen im Dezember 2013. Warum? Weil ich ihr im September eine SMS geschickt hatte: Schatz, ich hab dich lieb, egal, was passiert.

Stefanie R. — Pflegemutter von Luca (Fall 6): Ich konnte durchsetzen, dass ich Luca in seinem Heim in Kempten besuchen durfte. Seine leiblichen Eltern waren einverstanden, sie selbst besuchten ihn nicht mehr. Auch Lucas Vormündin aus dem Jugendamt Kaufbeuren meinte, das könne nur gut sein. Der erste Besuch war im Februar 2015. Luca hat sich sehr gefreut, ich habe ihm vorgelesen und mit ihm gespielt. Bald sagte er, er wolle wieder bei mir wohnen.

Pajam Rokni-Yazdi — Familienrechtsanwalt:
Eltern, die sich in Sorgerechtsverfahren befinden, werden sogar für die Ausübung einfachster Grundrechte bestraft. Wenn sie etwa in ihrer Verzweiflung ihren Fall in den Medien öffentlich machen, haben sie sofort mit Sanktionen durch das Gericht oder das Jugendamt zu rechnen.

Linda N. — Mutter von Anna (Fall 4):
Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts, das mir das Sorgerecht entzog, habe ich mich an die Lokalpresse gewandt, die dann auch über den Fall berichtete. Das fand das Jugendamt gar nicht lustig. Mir wurde sofort die Besuchszeit für Anna gekürzt. Selbst an ihrem Geburtstag durfte ich sie nur eine Stunde lang sehen.

Guido W. — Vater von Larissa (Fall 5): Immerhin verfügte das Gericht, dass Larissa eine Therapie machen sollte. Die lief auch ganz gut, die Schule schrieb, dass Larissa sichtbare Fortschritte mache. Allerdings brach meine Ex-Partnerin die Therapie nach zwei Monaten ab, obwohl die Therapeutin warnte, die Ursache für Larissas Suizidäußerung sei noch nicht geklärt. Das Jugendamt unternahm wieder nichts. Ich war fassungslos und bin zu mehreren Zeitungen gegangen, die auch über meinen Fall berichteten. Außerdem kritisierte ich im Internet das Jugendamt Bonn für seine Fehler. Das hatte eine Klage zur Folge. Wenn Kinder aufgrund offensichtlicher Fehler des Jugendamts sterben, wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Aber als ich mich kritisch über das Jugendamt äußerte, das in meinem Fall nachweislich versagt hat, wurde mir unter Androhung von einer Geldstrafe bis zu 250 000 Euro und zwei Jahren Haft der Mund verboten. Das soll gerecht sein?

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Wird nicht dem mit Kindern und Jugendlichen befassten Richter seine Unabhängigkeit gerade dadurch genommen, dass ihm die für ein verantwortliches Handeln und Beurteilen notwendige Ausbildung über Kindesentwicklung, medizinische Grundkenntnisse wie Konfliktverläufe und Möglichkeiten der Befriedung vorenthalten bleibt? Obwohl für seine Entscheidungen voll verantwortlich, befindet er sich dadurch in der Situation, mehr oder weniger blindlings die Bewertungen von Dritten wie Jugendamtsmitarbeitern, psychologischen und anderen Sachverständigen oder sogar Verfahrensbeiständen übernehmen zu müssen. Der Richter muss deren subjektiven Meinungen und Bewertungen folgen, ohne zumeist im Ansatz die Möglichkeit zu haben, die jeweiligen Beiträge auf ihre wissenschaftliche Belastbarkeit prüfen zu können.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Das Gericht ordnete nun an, dass Claudia psychiatrisch untersucht werden müsse wegen ihrer hohen Fehlzeiten in der Schule. Auch eine Therapie wurde erwogen. Aber als die Therapeutin Claudia gleich zu Beginn fragte, warum sie ihren Vater nicht sehen wolle, er sei doch ein Teil von ihr, sie solle nicht so negativ über ihn sprechen – da war Claudias Vertrauen dahin. Claudia sagte zudem, sie wünsche nicht, dass das Jugendamt den Inhalt der Gespräche mit meiner Tochter erfährt. Darüber war die Therapeutin sehr entrüstet.

Später habe ich erfahren, dass die Therapeutin auch mir eine Diagnose gestellt hatte – obwohl sie mich nie untersucht hatte. Sie behauptete, ich leide unter einer wahnhaften und psychotischen Störung. Sie empfahl deshalb, Claudia von mir zu trennen. Als ich das erfuhr, habe ich sofort einen Sachverständigen gesucht, um das Gutachten zu prüfen. Ein Professor für Psychologie bestätigte, das Gutachten sei völlig haltlos. Er sprach sogar von staatlicher Kindeswohlgefährdung, weil das Jugendamt Claudia und mich seit fast zwei Jahren verfolgte. Claudia war wirklich völlig verängstigt. Ständig rechnete sie damit, wieder in der Schule vom Jugendamt abgeholt zu werden.

Linda N. — Mutter von Anna (Fall 4): Die Psychologin, die mir auf sieben Seiten eine symbiotische Beziehung zu meiner Tochter bescheinigte, hatte genau eine Stunde mit mir gesprochen und weder Annas Lehrer noch Freunde, Verwandte oder Bekannte von uns befragt. Dass Anna gut im Gymnasium war und bei einem IQ-Test sogar weit überdurchschnittlich abgeschnitten hatte, dass sie im Jahr vier Wochen allein in Berchtesgaden in einer Kur war und dass wir uns ansonsten tagsüber kaum sahen, weil ich ganztags arbeite – hat die Psychologin alles nicht interessiert.

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Bei manchen Jugendamtsmitarbeitern herrscht die Ansicht vor, dass es eine Mutter, die es einmal nicht hin- gekriegt hat, möglicherweise auch beim nächsten Mal nicht hinkriegt. Die Bereitschaft, ihr das Kind nicht zurückzugeben, ist dann erheblich. Dabei fehlt jede Empathie, jedes Grundgefühl, was Kinder ihren Eltern bedeuten.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Nach mehreren Wochen ordnete das Gericht an, dass Faruk wieder zu mir kommt. Etwa zur selben Zeit fand mein Lebens-gefährte Arbeit im Kosovo. Wir zogen um, und ich dachte, jetzt wird alles gut. Aber schon nach wenigen Tagen im Kosovo war klar, dass er mich angelogen hatte. Er hatte nie eine Stelle, sondern nur einen Weg gesucht, um mich wieder zu demütigen. Er ist einfach allein zurück nach Deutschland und hat Faruk und mich ohne Pass zurückgelassen. Erst zwei Monate später habe ich es mit Hilfe der Botschaft und einer guten Freundin geschafft zurückzureisen. Noch am selben Tag, an dem ich bei meiner Freundin ankam, hat das Jugendamt mit Polizeigewalt meinen Sohn ein zweites Mal in Obhut genommen.

Um 14 Uhr fuhren die Autos vor, zwei Mitarbeiter vom Jugendamt waren da, ich sah die Polizisten, die abgesperrte Straße, und wusste Bescheid. Die Beamten trugen geladene Pistolen, das muss man sich mal vorstellen. Ich habe Faruk auf meinem Arm festgehalten und bin hinter den Wäschetrockner gestiegen, um uns zu schützen. Ich wollte ihn nicht wieder verlieren. Die Polizei hat laut gedroht, mich zu Boden zu reißen, wenn ich Faruk nicht hergebe, auch wenn das Kind dabei zu Schaden käme. Da habe ich ihn abgegeben.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Alle Versuche, Claudia vor dem Zugriff des Jugendamts zu schützen, waren schließlich vergebens: Am 13. Mai 2015 rückten zwei Jugendamtsmitarbeiter, ein Gerichtsvollzieher, zwei Security-Leute und zwei Polizisten bei uns zu Hause an, am Morgen um sieben. Der Gerichtsvollzieher rannte in die Wohnung und hielt Claudia den richterlichen Beschluss unter die Nase. Er bezog sich auf das hanebüchene Gutachten, das mir zum einen wahnhafte Störungen unterstellte, zum anderen hieß es, ich hätte keine Krankenversicherung – obwohl ich längst wieder eine hatte. Die Polizisten zerrten Claudia an den Armen aus dem Haus zu einem Transporter und drückten ihren Kopf nach unten, so wie man das in Fernsehkrimis sieht.

Claudia war damals 15. Sie wurde weggefahren, und ich habe sechs Wochen lang nicht erfahren, wo sie war. Erst nach zweieinhalb Monaten durfte ich mit ihr am Telefon sprechen. Sie war in einem Heim in Sachsen-Anhalt und weinte die ganze Zeit. Da ich weiter das Sorgerecht hatte, beschloss ich, sie da rauszuholen.

Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin: Wir wissen, wie verheerend sich Beziehungsabbrüche zwischen Eltern und Kindern auswirken können. Ein geschwächtes Selbstwertgefühl – »Ich bin es nicht wert, dass sich mein Vater oder meine Mutter um mich kümmert« – führt zu fundamentalem Verlust von Selbstvertrauen, Vertrauen in menschliche Beziehungen und deren Dauerhaftigkeit. Eigene anklammernde oder unverbindliche, häufig wechselnde Beziehungen sind oft die Folge.

Bei Eltern führt der Verlust der Beziehung zum eigenen Kind nahezu immer zu einem Bruch in der eigenen Biografie. Väter wie Mütter leiden. Oft ein Leben lang. Ein Vater schilderte mir das einmal so: »Seit ich begriffen habe, dass ich meinen Sohn durch die Manipulation der Mutter und durch die Mitwirkung von Familiengericht und Jugendamt nie mehr sehen werde, hat sich über mein ganzes Leben eine dicke, graue, staubige Decke gelegt.«

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Vor Gericht wurde mir das Sorgerecht für Faruk noch einmal entzogen. Zwei Jahre wieder nur Umgang zu vorgegebenen Zeiten, wieder fremde Pflegeeltern, die meinen Kleinen aufziehen. Ich habe mich zurückgezogen, hatte kaum noch soziale Kontakte. Manchmal bin ich einfach aus dem Bus gestiegen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einstieg. Ich habe es nicht ertragen, Kinder in Faruks Alter zu sehen.

Linda N. — Mutter von Anna (Fall 4): Wir sind durch alle Instanzen gegangen. Am 2. Juni 2014 erhielt ich den Beschluss des Bundesverfassungsgericht: Es hatte zu unseren Gunsten entschieden. Meine Grundrechte auf Pflege und Erziehung meiner Tochter seien verletzt worden, das entscheidende Gutachten wurde von den Richtern als völlig unzureichend abgelehnt. Ich erhielt das Sorgerecht zurück, und das Oberlandesgericht Celle wurde angewiesen, nochmals über die Frage zu verhandeln, wer künftig für die Gesundheitsfürsorge meiner Tochter zuständig ist; das ist ein Teil des Sorgerechts. Ich fuhr sofort zum Heim und ging mit Anna zum Eisessen. Anna hat in der Eisdiele gesungen und getanzt. Das Jugendamt meinte, es wäre doch am besten, wenn Anna noch ein halbes Jahr im Heim bleibt. Ich sagte: Im Leben nicht. Und habe sie am nächsten Tag nach Hause geholt.

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Ich habe große Probleme mit dem Begriff »Kindeswohl«, der ja im Zentrum des Kindschaftsrechts steht. Der Begriff eröffnet in einem Verfahren über die Rechte des Kindes ein Lottospiel. Die konkrete Ausfüllung des Begriffs durch Sozialarbeiter, Richter oder Sachverständige ist für große wie kleine Bürger schlicht nicht voraussehbar. Wer »Kindeswohl« verwendet, wird immer seinen eigenen Wertmaßstab, seine subjektiven Vorstellungen zugrunde legen. Die Gefahr ist groß, dass es dem Kind und seiner Familie nach solchen Entscheidungen schlechter geht als vorher. Damit verschwindet aus dem Blick, mit welcher konkreten Unterstützung die für das Kind Verantwortlichen ihre Aufgabe künftig meistern können.

Thomas Saschenbrecker — Familienrechtsanwalt: Das System gibt vor, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern, und treibt deren Eltern oft in den Wahnsinn. So als ob es nicht im ureigensten Interesse der Kinder wäre, dass es auch ihren Eltern gut geht. Die Zahl der Inobhutnahmen steigt und steigt. Aber die Politik scheint es nicht groß zu interessieren.

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
Es macht den Eindruck, als dränge der Staat zusehends in die Familien. Wegen der Zwangserziehung von Kindern während des Nationalsozialismus besteht in Deutschland verfassungsrechtlicher Konsens, dass wir eben keinen staatlichen Erzieher wollen, auch keine Jugendhilfe als graue Eminenz. Ein Kind hat das Recht auf seine Eltern – aber eben nicht auf die besten Eltern. Eltern sind immer auch Schicksal.

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Für mich stellt sich die Frage: Wer schützt das Kind vor seinen Beschützern? Außer einer Dienstaufsichtsbeschwerde gibt es keine Form der Kontrolle des Jugendamts. Die Jugendämter sagen immer: Wir werden doch von den Gerichten kontrolliert. Aber wie soll das Gericht seinen wichtigsten Gehilfen kontrollieren?

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Ich wurde noch mal schwanger und zog vor der Geburt meines zweiten Sohnes nach Bremen. Ganz anders als in Vechta haben mir die Mitarbeiter des Jugendamtes hier geholfen. Sie haben mich ernst genommen und in ihre Pläne einbezogen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Seit ein paar Monaten habe ich das alleinige Sorgerecht für Faruk zurück. Zu Jusuf habe ich keinen Kontakt mehr. Das ist vorbei. In den ersten Tagen, die Faruk bei mir war, fand ein Laternenfest in meinem Viertel statt. Ich habe den ganzen Umzug lang geweint, weil ich so glücklich war, beide Kinder an der Hand halten zu dürfen, nicht nur eins. Ich war einfach nur eine normale Mutter unter vielen. Ich konnte endlich all die Dinge nachholen, die ich immer mit Faruk machen wollte: ein Eis essen, in den Zoo gehen, ihn zum Kindergarten bringen, ihn trösten, wenn er weint.

Faruk ist ein aufgeweckter kleiner Kerl. Er hat sich in Bremen gut eingelebt. Aber das ganze Hin und Her hat Spuren bei ihm hinterlassen. Wenn er etwas nicht mitbekommt oder nicht versteht, was man zu ihm sagt, ist er schnell extrem verunsichert. Er hat sein Urvertrauen verloren. Ich denke, das hat auch etwas damit zu tun, dass er in seinem jungen Leben schon oft seine Bezugspersonen wechseln musste.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Wir erfuhren, dass Claudia und die anderen Heimbewohner einen Ausflug in den Heidepark Soltau unternahmen. Ich pos-tierte mich am Eingang, ein Freund stand am Auto bereit. Als ich Claudia sah, rief ich ihr zu: Lauf zu dem Auto! Sie rannte los, aber ein Betreuer bekam das mit und rannte ebenfalls zum Auto. Claudia sprang auf den Rücksitz, ich auch. Aber dem Betreuer gelang es, den Autoschlüssel abzuziehen. Ein herbeigerufener Polizist forderte Claudia und mich auf auszusteigen. Als wir uns weigerten, fasste er durch das Fenster in den Wagen, packte mich sehr unsanft am Arm und verdrehte ihn. Claudia protestierte: Lassen Sie meine Mutter! Der Polizist sagte: Erst, wenn du aussteigst. Er sagte, er habe den Richter angerufen und sich absegnen lassen, dass er gegen mich und Claudia Gewalt anwenden darf. Da stieg Claudia aus. Ich bekam eine Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.

Ralf S. — Vater von Lisa (Fall 3): Wegen des unmenschlichen Verhaltens des Heims und des Jugendamts gegenüber meiner kleinen Lisa rief ich das Amtsgericht um Hilfe an. Am 6. Februar 2013 veranlasste es – gegen den Widerstand von Heim und Jugendamt – die sofortige Rückgabe von Lisa an ihre Mutter und mich. Sosehr ich mich darüber freue: Das Heim und das Jugendamt haben sowohl die Rechte meiner Tochter wie auch meine als Vater elementar verletzt. Deshalb will ich, dass beide zur Rechenschaft gezogen werden. Ich verlange Schadensersatz sowie die Erstattung der entstandenen Kosten, ich bin bereit, durch alle Instanzen zu klagen. Allein die Anwälte haben mich 20 000 Euro gekostet, um die unrechtmäßige Heimunterbringung meiner Tochter rückgängig zu machen. Ich tue das nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen, die finanziell schlechter gestellt sind. Sie können sich keine teuren Anwälte leisten und sind diesem System ausgeliefert.

Linda N. — Mutter von Anna (Fall 4): Nach einigen Monaten zu Hause wurde Anna zum Oberlandesgericht vorgeladen. Die Richter regten an, Anna solle einen Erziehungsbeistand erhalten. Sie solle sich mit der Frau treffen und dann entscheiden, ob sie weitermachen wolle.

Anna N.: Die Frau hatte keine Ahnung von meinem Fall, sie kannte weder mich noch die Akten. Sie sagte nur, das Jugendamt habe angeregt, wir sollten uns zweimal pro Woche treffen. Ich bin jetzt in der elften Klasse und lerne aufs Abitur, so viel Zeit habe ich doch gar nicht. Ich fragte, was sie sich denn vorstelle, was wir in der Zeit tun. Sie sagte, wir könnten einen Kaffee trinken oder ins Kino gehen. Da habe ich das Ganze abgesagt. Aber das Jugendamt und das Gericht waren wieder der Ansicht, das hätte nicht ich entschieden, sondern meine Mutter.

Linda N.: Das Gericht entzog mir wieder die Gesundheitsfürsorge, weil Anna die Beiständin abgelehnt hatte. Zwei der drei Richter kannte ich schon – es waren dieselben, die mir ein Jahr zuvor das Sorgerecht entzogen hatten. Sie beriefen sich wieder auf das damalige Gutachten, obwohl es das Bundesverfassungsgericht als unzureichend zurückgewiesen hatte. Mein Anwalt meinte: Wir können das nur zähneknirschend hinnehmen – oder wieder vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Aber das Geld habe ich nicht mehr.

Anna N.: Während der Zeit im Heim bin ich in der Schule ziemlich abgestürzt. Jetzt habe ich mich wieder gefangen und stehe selbst in Mathe, wo ich mich immer schwer getan habe, auf einer Drei plus. Aber was ich nicht verstehen kann: Warum lassen mich die Leute vom Jugendamt nicht einfach in Ruhe?

Guido W. — Vater von Larissa (Fall 5): Das Oberlandesgericht Köln wies den Beschluss des Landgerichts zurück, wonach ich das Jugendamt nicht mehr kritisieren darf. Ein kleiner Sieg. Aber in diesen Gerichtstreit habe ich mehr als 45 000 Euro investiert. Und ich habe seit zweieinhalb Jahren meine Tochter nicht mehr gesehen.

Das Jugendamt sitzt am längeren Hebel und kann jeden, der sich widersetzt, zermürben und ruinieren. Aus meiner Sicht hat das Amt durch seine Ignoranz und sein Nichthandeln den desolaten Zustand meiner Tochter mitverschuldet. Dieser Prozess hat etwas zerstört: die innige Beziehung zu meiner Tochter. Und den Glauben, dass es in unserem Land noch so etwas wie Gerechtigkeit gibt.

Stefanie R. — Pflegemutter von Luca (Fall 6): Dass Luca sagte, er wolle raus aus dem Heim und wieder bei mir leben, gefiel der heimeigenen Psychologin und Lucas Erzieherin gar nicht. Sie teilte mir mit, seit Luca mit mir Kontakt habe, sei er viel weniger gelassen. Ich hätte falsche Hoffnungen bei ihm geweckt. So wurden die Umgangstermine wieder ausgesetzt. Ich habe ihn seit acht Monaten nicht mehr gesehen. Es fällt mir schwer, das zu verstehen, schließlich bin ich Sonderpädagogin und betreue seit Jahren pflegeintensive Kinder. Verschiedene Jugendämter haben mir bescheinigt, dass ich sehr gut arbeite.

Karin E. — Mutter von Claudia (Fall 2): Einige Wochen später fuhren wir zu Claudias Schule. Es war sieben Uhr früh, ich postierte mich hinter einem Baum. Eine Frau kam auf mich zu, sie stellte sich als Leiterin des Heims vor und sagte, ich solle verschwinden. Claudia gehe es gut im Heim, nur wenn sie mit mir spreche, gehe es ihr schlecht. Ich sagte, ich wisse, dass es Claudia schlecht geht. Außerdem würde ich den Beschluss des Gerichts nicht akzeptieren, und ich sei immer noch die sorgeberechtigte Mutter. Sie drohte, wenn ich nicht aufhören würde, käme Claudia in die Psychiatrie. Dann verschwand sie in der Schule. Kurz darauf kam Claudia aus einer Seitenstraße spaziert. Sie sah mich und stürmte sofort auf mein Auto zu. Die Heimleiterin rief noch, Claudia, steig nicht ein! Aber sie stieg ein, und wir fuhren davon. Es war wie im Krimi, wir brachten sie an einen sicheren Ort, wo sie seitdem lebt.

Sie ist jetzt sechzehneinhalb und würde gern die Schule abschließen, sobald sie wieder zu Hause leben darf. Aber vor Kurzem erließ die Richterin einen Beschluss, dass sie jederzeit festgesetzt werden kann, auch unter Anwendung von Gewalt. Seitdem habe ich große Angst, dass Claudia vom Jugendamt ins Ausland verschleppt wird. Hier im Rhein-Sieg-Kreis ist alles möglich: Neulich hat unser Jugendamt einen 13-Jährigen bei einer Familie in Kirgisistan untergebracht. In den Zeitungs-berichten über den Fall hieß es, das Auswärtige Amt warne vor Reisen dorthin, im ganzen Land seien gewaltsame Zusammenstöße zu befürchten. Von wegen Kindeswohl.

Ich werde von den Behörden beschuldigt, meine Tochter in die Illegalität zu treiben, weil ich sie nicht festnehmen lasse. Ein Bekannter hat mir geraten, immer eine Zahnbürste bei mir zu tragen – falls ich von der Polizei in Beugehaft genommen werde. Ich hätte mir nicht träumen lassen, jemals in so eine Situation zu geraten. Mein Vater auch nicht: Er hat bis zu seiner Pensionierung eine Polizeidienststelle geleitet.

Katrin Langhans und Rainer Stadler

haben in den vergangenen Monaten deutschlandweit mit Eltern, Kindern und Experten gesprochen. Die Autoren beschäftigten nicht nur die beschriebenen Geschichten – sondern auch die Frage, wie viele solcher Fälle es wohl noch gibt, die nie öffentlich werden.

 

SZ: In fremden Händen – stark gekürzt Ursula K/Koch

In Deutschland gibt es rund 600 Jugendämter. Sie sind kommunale Behörden und sollen sicherstellen, dass Kinder geborgen und gesund aufwachsen. Sie planen Spielplätze, sie beraten Jugendliche, die sich beim Einstieg ins Berufsleben schwertun, sie unterstützen Eltern bei der Erziehung. Das Jugendamt soll aber nicht nur helfen, sondern auch kontrollieren, dass Kinder in ihren Familien nicht vernachlässigt oder misshandelt werden. Andernfalls kann es eine Inobhutnahme verfügen: Das Kind wird aus seiner Familie genommen und in einer Pflegefamilie oder einem Heim untergebracht. Die Zahl der Kinder, die Jugendämter aus ihren Familien nehmen, steigt: Vor zehn Jahren waren es rund 25 000 Kinder, vergangenes Jahr fast 50 000. In der Öffentlichkeit wird diese Entwicklung oft damit erklärt, dass Eltern mit ihrer Erziehungsaufgabe zunehmend überfordert seien. Es gibt aber Fälle, die eher den Verdacht nähren, dass ein Apparat außer Kontrolle geraten ist: dass Familien, die vielleicht Hilfe bräuchten, mit staatlicher Gewalt schikaniert und auseinandergerissen werden – mit wenig Rücksicht auf Gesetze und auf das Gut, das eigentlich über allem steht: das Kindeswohl.

Thomas Mörsberger — Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht: Ich werde zunehmend konfrontiert mit Fällen, bei denen in haarsträubender Weise Familien belastet werden durch völlig unberechtigte Interventionen, etwa in Form einer Fremdplatzierung per Inobhutnahme. Und ich spreche nur von Fällen, bei denen das Jugendamt dies auch – natürlich nicht öffentlich – zugegeben hat. Den Optimismus, dass durch massives Eingreifen per se das Gute passiere, kann ich nicht teilen.

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, ehemalige Justizsenatorin in Hamburg und Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass sowohl Familiengerichte als auch Jugendämter Kinder oft zu schnell und ohne notwendige Ermittlung von Alternativen in Obhut nehmen beziehungsweise von den Eltern trennen. Und dass sie sich auch bei der Rückgabe von fremd-untergebrachten Kindern an die Eltern zögerlich und damit pflicht- und verfassungswidrig verhalten.

Fall 1

 

Ursula K.*, Bremen — Mutter von Faruk*: Als ich schwanger wurde, war ich bereits seit einem Jahr mit Jusuf in einer On-off-Beziehung. Er hat mich oft bedroht und geschlagen, trotzdem hing ich an ihm – emotional und auch finanziell. Zwei Monate vor der Geburt habe ich beim Jugendamt darum gebeten, dass ich in ein Mutter-Kind-Haus gehen darf, um Abstand von ihm zu gewinnen. Ich hatte mich selbst um einen Platz in Hamburg gekümmert. Es fehlte noch eine Zusage, dass die Kosten vom Jugendamt übernommen werden. Stattdessen genehmigte man mir eine Familienhilfe und eine Hebamme. Wird schon, sagte man mir, Sie werden ja jetzt alle eine Familie. Später habe ich aus den Akten erfahren, dass das Jugendamt am nächsten Tag Kontakt zum Krankenhaus aufnahm, wohl um die Inobhutnahme zu planen.

Fall 2

 

Fall 3



Fall 4

Fall 5

Fall 6

Ursula K., Bremen — Mutter von Faruk (Fall 1): Mein Sohn Faruk wurde am 26. Mai 2012 um 1:35 Uhr geboren. Fünf Minuten später hat man ihn mir weggenommen. Ich erfuhr nichts, keine Größe, kein Gewicht, die Ärzte sagten nur, er müsse schnell auf die Kinderintensivstation. Als ich nachts um fünf zur Pforte lief, um nach ihm zu sehen, ließ man mich nicht rein. Am nächsten Morgen um elf Uhr kam ein Mann vom Jugendamt Vechta. Er eröffnete das Gespräch mit den Worten: Wir haben Ihr Kind in Obhut genommen. Ich fragte ihn: Warum? Er schüttelte nur den Kopf: Frau K., wie wollen Sie das Ruder nur wieder rumreißen? Ich war fassungslos, dass man mir mein Kind wegnimmt, bevor ich überhaupt als Mutter hätte versagen können. Vor Gericht habe ich später erfahren, dass das Jugendamt befürchtete, mein Freund würde dem Kind etwas antun.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Am 4. Juni, meinem Geburtstag, war die Anhörung vor dem Amtsgericht Vechta. Ich war mir sicher, dass ich meinen Sohn so schnell wiederbekomme, wie man ihn mir weggenommen hatte. Ich war überzeugt, dass das alles ein Missverständnis ist und ich den Kleinen mit zu mir nehmen darf. Stattdessen hat mir das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Als ich die Pflegeeltern zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Diese Frau, weit über sechzig, soll sich um mein Kind kümmern? Der Mann war sogar noch älter.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Nach mehreren Wochen ordnete das Gericht an, dass Faruk wieder zu mir kommt. Etwa zur selben Zeit fand mein Lebens-gefährte Arbeit im Kosovo. Wir zogen um, und ich dachte, jetzt wird alles gut. Aber schon nach wenigen Tagen im Kosovo war klar, dass er mich angelogen hatte. Er hatte nie eine Stelle, sondern nur einen Weg gesucht, um mich wieder zu demütigen. Er ist einfach allein zurück nach Deutschland und hat Faruk und mich ohne Pass zurückgelassen. Erst zwei Monate später habe ich es mit Hilfe der Botschaft und einer guten Freundin geschafft zurückzureisen. Noch am selben Tag, an dem ich bei meiner Freundin ankam, hat das Jugendamt mit Polizeigewalt meinen Sohn ein zweites Mal in Obhut genommen.

Um 14 Uhr fuhren die Autos vor, zwei Mitarbeiter vom Jugendamt waren da, ich sah die Polizisten, die abgesperrte Straße, und wusste Bescheid. Die Beamten trugen geladene Pistolen, das muss man sich mal vorstellen. Ich habe Faruk auf meinem Arm festgehalten und bin hinter den Wäschetrockner gestiegen, um uns zu schützen. Ich wollte ihn nicht wieder verlieren. Die Polizei hat laut gedroht, mich zu Boden zu reißen, wenn ich Faruk nicht hergebe, auch wenn das Kind dabei zu Schaden käme. Da habe ich ihn abgegeben.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Vor Gericht wurde mir das Sorgerecht für Faruk noch einmal entzogen. Zwei Jahre wieder nur Umgang zu vorgegebenen Zeiten, wieder fremde Pflegeeltern, die meinen Kleinen aufziehen. Ich habe mich zurückgezogen, hatte kaum noch soziale Kontakte. Manchmal bin ich einfach aus dem Bus gestiegen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einstieg. Ich habe es nicht ertragen, Kinder in Faruks Alter zu sehen.

 

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Ich wurde noch mal schwanger und zog vor der Geburt meines zweiten Sohnes nach Bremen. Ganz anders als in Vechta haben mir die Mitarbeiter des Jugendamtes hier geholfen. Sie haben mich ernst genommen und in ihre Pläne einbezogen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Seit ein paar Monaten habe ich das alleinige Sorgerecht für Faruk zurück. Zu Jusuf habe ich keinen Kontakt mehr. Das ist vorbei. In den ersten Tagen, die Faruk bei mir war, fand ein Laternenfest in meinem Viertel statt. Ich habe den ganzen Umzug lang geweint, weil ich so glücklich war, beide Kinder an der Hand halten zu dürfen, nicht nur eins. Ich war einfach nur eine normale Mutter unter vielen. Ich konnte endlich all die Dinge nachholen, die ich immer mit Faruk machen wollte: ein Eis essen, in den Zoo gehen, ihn zum Kindergarten bringen, ihn trösten, wenn er weint.

Faruk ist ein aufgeweckter kleiner Kerl. Er hat sich in Bremen gut eingelebt. Aber das ganze Hin und Her hat Spuren bei ihm hinterlassen. Wenn er etwas nicht mitbekommt oder nicht versteht, was man zu ihm sagt, ist er schnell extrem verunsichert. Er hat sein Urvertrauen verloren. Ich denke, das hat auch etwas damit zu tun, dass er in seinem jungen Leben schon oft seine Bezugspersonen wechseln musste.

 

SZ: In fremden Händen – gekürzt Ursula K/Koch

In Deutschland gibt es rund 600 Jugendämter. Sie sind kommunale Behörden und sollen sicherstellen, dass Kinder geborgen und gesund aufwachsen. Sie planen Spielplätze, sie beraten Jugendliche, die sich beim Einstieg ins Berufsleben schwertun, sie unterstützen Eltern bei der Erziehung. Das Jugendamt soll aber nicht nur helfen, sondern auch kontrollieren, dass Kinder in ihren Familien nicht vernachlässigt oder misshandelt werden. Andernfalls kann es eine Inobhutnahme verfügen: Das Kind wird aus seiner Familie genommen und in einer Pflegefamilie oder einem Heim untergebracht. Die Zahl der Kinder, die Jugendämter aus ihren Familien nehmen, steigt: Vor zehn Jahren waren es rund 25 000 Kinder, vergangenes Jahr fast 50 000. In der Öffentlichkeit wird diese Entwicklung oft damit erklärt, dass Eltern mit ihrer Erziehungsaufgabe zunehmend überfordert seien. Es gibt aber Fälle, die eher den Verdacht nähren, dass ein Apparat außer Kontrolle geraten ist: dass Familien, die vielleicht Hilfe bräuchten, mit staatlicher Gewalt schikaniert und auseinandergerissen werden – mit wenig Rücksicht auf Gesetze und auf das Gut, das eigentlich über allem steht: das Kindeswohl.

Thomas Mörsberger — Vorsitzender des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht: Ich werde zunehmend konfrontiert mit Fällen, bei denen in haarsträubender Weise Familien belastet werden durch völlig unberechtigte Interventionen, etwa in Form einer Fremdplatzierung per Inobhutnahme. Und ich spreche nur von Fällen, bei denen das Jugendamt dies auch – natürlich nicht öffentlich – zugegeben hat. Den Optimismus, dass durch massives Eingreifen per se das Gute passiere, kann ich nicht teilen.

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, ehemalige Justizsenatorin in Hamburg und Berlin: Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass sowohl Familiengerichte als auch Jugendämter Kinder oft zu schnell und ohne notwendige Ermittlung von Alternativen in Obhut nehmen beziehungsweise von den Eltern trennen. Und dass sie sich auch bei der Rückgabe von fremd-untergebrachten Kindern an die Eltern zögerlich und damit pflicht- und verfassungswidrig verhalten.

Fall 1

 

Ursula K.*, Bremen — Mutter von Faruk*: Als ich schwanger wurde, war ich bereits seit einem Jahr mit Jusuf in einer On-off-Beziehung. Er hat mich oft bedroht und geschlagen, trotzdem hing ich an ihm – emotional und auch finanziell. Zwei Monate vor der Geburt habe ich beim Jugendamt darum gebeten, dass ich in ein Mutter-Kind-Haus gehen darf, um Abstand von ihm zu gewinnen. Ich hatte mich selbst um einen Platz in Hamburg gekümmert. Es fehlte noch eine Zusage, dass die Kosten vom Jugendamt übernommen werden. Stattdessen genehmigte man mir eine Familienhilfe und eine Hebamme. Wird schon, sagte man mir, Sie werden ja jetzt alle eine Familie. Später habe ich aus den Akten erfahren, dass das Jugendamt am nächsten Tag Kontakt zum Krankenhaus aufnahm, wohl um die Inobhutnahme zu planen.

Fall 2

 

 

Fall 3



Fall 4

 

Fall 5

Fall 6

 

Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter: Viele Eltern erleben das Jugendamt als Kontrolle und nicht als Hilfe. Das hängt viel mit dem Verhalten der Jugendamtsmitarbeiter zusammen und ist bedauerlich: Die meisten Eltern sind in Situationen, in denen sie ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, einfach überfordert. Erleben diese Eltern das Jugendamt nur als Kontrolle und Machtfaktor, werden sie sich in der Not nicht mehr an dessen Mitarbeiter wenden. So wird wirkungsvolle Hilfe verhindert, die viel Leid und Misshandlung in den Familien vermeiden könnte.

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Das Jugendamt sieht sich einer Gemengelage von Aufgaben gegenüber, die für die Mitarbeiter kaum unter einen Hut zu bringen ist. Die Behörde soll einerseits Eltern beraten und ihnen helfen. Andererseits soll sie gegebenfalls Kind und Eltern durch eine Inobhutnahme ohne vorherige richterliche Überprüfung oder Anordnung voneinander trennen. Dafür reicht, dass die Mitarbeiter in quasi richterlicher Funktion eine Situation als »Gefahr« für das Kind einschätzen. Eine richterliche Kontrolle findet auch im Nachhinein dann nicht statt, wenn die betroffenen Eltern gegen dieses Verfahren keinen Einspruch erheben – was sie oft nicht tun, weil sie ohnehin keine Chance sehen.

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: In manchen Städten, zum Beispiel in Hamburg und Bremen, hat ein Jugendamtsmitarbeiter hundert Fälle gleichzeitig zu bearbeiten. Dieser Notstand führt dazu, dass viele Jugendamtsmitarbeiter nicht mehr ihr Büro verlassen und in ihren Berichten Defizite von Leuten – also meistens Eltern – beschreiben, die sie noch nie gesehen haben.

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Tragödien wie der Fall Kevin in Bremen oder der Fall Chantal in Hamburg, die massive Kritik an den Behörden nach sich zogen, haben natürlich dazu beigetragen, dass die Jugendämter heute lieber zu früh eingreifen als zu spät. Das Problem ist allerdings, dass viele Ämter äußerst zurückhaltend sind, eine Herausnahme von Kindern wieder rückgängig zu machen. Obwohl die höchsten Gerichte herausgestellt haben, dass die Rückführung der Kinder in ihre Familien das oberste Ziel amtlichen Handelns sein sollte.

Reinhard Wiesner — Rechtswissenschaftler, langjähriger Ministerialrat im Bundesfamilienministerium:
Das Recht hat hohe Hürden errichtet, bevor der Staat in das Sorgerecht der Eltern eingreifen darf. Zum einen muss das Kindeswohl gefährdet sein. Das ist aber schon die erste Schwierigkeit: Was bedeutet Gefährdung des Kindeswohls? Das lässt sich ja nicht wie mit einem Fieberthermometer messen. Die Kindeswohlgefährdung allein reicht aber noch nicht. Gericht und Behörden müssen auch nachweisen, dass die Eltern aller Voraussicht nach nicht in der Lage sind, diese Gefährdung abzustellen. Die Gerichte und Behörden müssen also zusätzlich eine Prognose abgeben. Das birgt die Gefahr, dass Entscheidungen getroffen werden können, die sich im Nachhinein als falsch erweisen.

Ursula K., Bremen — Mutter von Faruk (Fall 1): Mein Sohn Faruk wurde am 26. Mai 2012 um 1:35 Uhr geboren. Fünf Minuten später hat man ihn mir weggenommen. Ich erfuhr nichts, keine Größe, kein Gewicht, die Ärzte sagten nur, er müsse schnell auf die Kinderintensivstation. Als ich nachts um fünf zur Pforte lief, um nach ihm zu sehen, ließ man mich nicht rein. Am nächsten Morgen um elf Uhr kam ein Mann vom Jugendamt Vechta. Er eröffnete das Gespräch mit den Worten: Wir haben Ihr Kind in Obhut genommen. Ich fragte ihn: Warum? Er schüttelte nur den Kopf: Frau K., wie wollen Sie das Ruder nur wieder rumreißen? Ich war fassungslos, dass man mir mein Kind wegnimmt, bevor ich überhaupt als Mutter hätte versagen können. Vor Gericht habe ich später erfahren, dass das Jugendamt befürchtete, mein Freund würde dem Kind etwas antun.

 

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: Oft habe ich in Sorgerechtsverfahren den Eindruck: Hier sitzt ein Dutzend Experten, deren einziges Ziel es ist, herauszuarbeiten, wie schlecht die jeweiligen Eltern für ihr Kind sind. Das gilt besonders, wenn die Inobhutnahme bereits erfolgt ist: Das Jugendamt wie auch das Gericht haben dann ja ein großes Interesse, wirklich etwas zu finden, was sie den Eltern vorwerfen können. Sonst hätten sie ein Kind zu Unrecht aus der Familie genommen und quasi eine Menschenrechtsverletzung begangen.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Am 4. Juni, meinem Geburtstag, war die Anhörung vor dem Amtsgericht Vechta. Ich war mir sicher, dass ich meinen Sohn so schnell wiederbekomme, wie man ihn mir weggenommen hatte. Ich war überzeugt, dass das alles ein Missverständnis ist und ich den Kleinen mit zu mir nehmen darf. Stattdessen hat mir das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen.

 

Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter: Leider ist es gängige Praxis, Kinder nach einer Inobhutnahme für mehrere Tage oder Wochen von ihren Eltern zu isolieren. Es heißt dann, sie sollen sich erst mal auf ihr neues Leben einstellen. In Wirklichkeit hilft diese Praxis nur den Mitarbeitern der Jugendhilfe, indem sie es Pflegefamilien und Heimen leichter macht, da sie sich zunächst einmal nicht mit den leiblichen Eltern auseinandersetzen müssen. Oft fürchtet man, Kontakte zu den Eltern machten die Kinder rebellisch oder traurig und verhinderten die Akzeptanz der Fremdunterbringung. Diese Praxis ist ein Unding! Die Kinder sollen sich mit den Gründen der Fremdunterbringung auseinandersetzen. Sie sollen wissen, dass es ihre Eltern noch gibt, dass die Eltern sich für die Kinder interessieren, auch, dass sie darum kämpfen, die Kinder wieder zu sich zu holen. Pflegeeltern und Betreuer müssen das aushalten.

 

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin: Im Paragraf 42 des Achten Sozialgesetzbuches ist klipp und klar festgehalten, dass dem Kind bei einer Inobhutnahme unverzüglich die Möglichkeit zu geben ist, einen Menschen seines Vertrauens zu benachrichtigen. Aber die Jugendamtsmit-arbeiter haben leider oft große Mühe, den gesetzlichen Vorgaben zu folgen.

 

Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin: Der Wille des Kindes sollte erhört werden – je älter die Kinder sind, umso mehr. Sie haben das Recht, sich zu äußern – oder sich auch nicht zu äußern.

Klaus-Uwe Kirchhoff — Sozialpädagoge, Verfahrensbeistand: Wer garantiert eigentlich, dass eine Heimunterbringung wirklich besser ist als das angeblich defizitäre Zuhause? Niemand.Johannes Streif — Kinder- und Jugendpsychologe, Gerichtsgutachter Im Selbstverständnis mancher Mitarbeiter der Jugendhilfe, sei es in Heimen oder im Jugendamt, ist die Ursache der Fremdunterbringung stets das Versagen der Eltern. Diese Sichtweise verleitet dazu, die eigene Funktion und Rolle pauschal gegen die Eltern abzugrenzen, als sei für das Kind alles besser als seine Eltern. Zum Wohl des Kindes ist es jedoch wichtig, tatsächlich anzuerkennen und zu würdigen, dass es leibliche Eltern hat.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Als ich die Pflegeeltern zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Diese Frau, weit über sechzig, soll sich um mein Kind kümmern? Der Mann war sogar noch älter.

 

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Wird nicht dem mit Kindern und Jugendlichen befassten Richter seine Unabhängigkeit gerade dadurch genommen, dass ihm die für ein verantwortliches Handeln und Beurteilen notwendige Ausbildung über Kindesentwicklung, medizinische Grundkenntnisse wie Konfliktverläufe und Möglichkeiten der Befriedung vorenthalten bleibt? Obwohl für seine Entscheidungen voll verantwortlich, befindet er sich dadurch in der Situation, mehr oder weniger blindlings die Bewertungen von Dritten wie Jugendamtsmitarbeitern, psychologischen und anderen Sachverständigen oder sogar Verfahrensbeiständen übernehmen zu müssen. Der Richter muss deren subjektiven Meinungen und Bewertungen folgen, ohne zumeist im Ansatz die Möglichkeit zu haben, die jeweiligen Beiträge auf ihre wissenschaftliche Belastbarkeit prüfen zu können.

 

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Bei manchen Jugendamtsmitarbeitern herrscht die Ansicht vor, dass es eine Mutter, die es einmal nicht hin- gekriegt hat, möglicherweise auch beim nächsten Mal nicht hinkriegt. Die Bereitschaft, ihr das Kind nicht zurückzugeben, ist dann erheblich. Dabei fehlt jede Empathie, jedes Grundgefühl, was Kinder ihren Eltern bedeuten.

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Nach mehreren Wochen ordnete das Gericht an, dass Faruk wieder zu mir kommt. Etwa zur selben Zeit fand mein Lebens-gefährte Arbeit im Kosovo. Wir zogen um, und ich dachte, jetzt wird alles gut. Aber schon nach wenigen Tagen im Kosovo war klar, dass er mich angelogen hatte. Er hatte nie eine Stelle, sondern nur einen Weg gesucht, um mich wieder zu demütigen. Er ist einfach allein zurück nach Deutschland und hat Faruk und mich ohne Pass zurückgelassen. Erst zwei Monate später habe ich es mit Hilfe der Botschaft und einer guten Freundin geschafft zurückzureisen. Noch am selben Tag, an dem ich bei meiner Freundin ankam, hat das Jugendamt mit Polizeigewalt meinen Sohn ein zweites Mal in Obhut genommen.

Um 14 Uhr fuhren die Autos vor, zwei Mitarbeiter vom Jugendamt waren da, ich sah die Polizisten, die abgesperrte Straße, und wusste Bescheid. Die Beamten trugen geladene Pistolen, das muss man sich mal vorstellen. Ich habe Faruk auf meinem Arm festgehalten und bin hinter den Wäschetrockner gestiegen, um uns zu schützen. Ich wollte ihn nicht wieder verlieren. Die Polizei hat laut gedroht, mich zu Boden zu reißen, wenn ich Faruk nicht hergebe, auch wenn das Kind dabei zu Schaden käme. Da habe ich ihn abgegeben.

Ursula Kodjoe — Psychologin, Mediatorin: Wir wissen, wie verheerend sich Beziehungsabbrüche zwischen Eltern und Kindern auswirken können. Ein geschwächtes Selbstwertgefühl – »Ich bin es nicht wert, dass sich mein Vater oder meine Mutter um mich kümmert« – führt zu fundamentalem Verlust von Selbstvertrauen, Vertrauen in menschliche Beziehungen und deren Dauerhaftigkeit. Eigene anklammernde oder unverbindliche, häufig wechselnde Beziehungen sind oft die Folge.

Bei Eltern führt der Verlust der Beziehung zum eigenen Kind nahezu immer zu einem Bruch in der eigenen Biografie. Väter wie Mütter leiden. Oft ein Leben lang. Ein Vater schilderte mir das einmal so: »Seit ich begriffen habe, dass ich meinen Sohn durch die Manipulation der Mutter und durch die Mitwirkung von Familiengericht und Jugendamt nie mehr sehen werde, hat sich über mein ganzes Leben eine dicke, graue, staubige Decke gelegt.«

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Vor Gericht wurde mir das Sorgerecht für Faruk noch einmal entzogen. Zwei Jahre wieder nur Umgang zu vorgegebenen Zeiten, wieder fremde Pflegeeltern, die meinen Kleinen aufziehen. Ich habe mich zurückgezogen, hatte kaum noch soziale Kontakte. Manchmal bin ich einfach aus dem Bus gestiegen, wenn eine Mutter mit Kinderwagen einstieg. Ich habe es nicht ertragen, Kinder in Faruks Alter zu sehen.

 

Hans-Christian Prestien — ehemaliger Familienrichter: Ich habe große Probleme mit dem Begriff »Kindeswohl«, der ja im Zentrum des Kindschaftsrechts steht. Der Begriff eröffnet in einem Verfahren über die Rechte des Kindes ein Lottospiel. Die konkrete Ausfüllung des Begriffs durch Sozialarbeiter, Richter oder Sachverständige ist für große wie kleine Bürger schlicht nicht voraussehbar. Wer »Kindeswohl« verwendet, wird immer seinen eigenen Wertmaßstab, seine subjektiven Vorstellungen zugrunde legen. Die Gefahr ist groß, dass es dem Kind und seiner Familie nach solchen Entscheidungen schlechter geht als vorher. Damit verschwindet aus dem Blick, mit welcher konkreten Unterstützung die für das Kind Verantwortlichen ihre Aufgabe künftig meistern können.

Thomas Saschenbrecker — Familienrechtsanwalt: Das System gibt vor, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern, und treibt deren Eltern oft in den Wahnsinn. So als ob es nicht im ureigensten Interesse der Kinder wäre, dass es auch ihren Eltern gut geht. Die Zahl der Inobhutnahmen steigt und steigt. Aber die Politik scheint es nicht groß zu interessieren.

Lore Peschel-Gutzeit — Familienrechtsanwältin, frühere Justizsenatorin:
Es macht den Eindruck, als dränge der Staat zusehends in die Familien. Wegen der Zwangserziehung von Kindern während des Nationalsozialismus besteht in Deutschland verfassungsrechtlicher Konsens, dass wir eben keinen staatlichen Erzieher wollen, auch keine Jugendhilfe als graue Eminenz. Ein Kind hat das Recht auf seine Eltern – aber eben nicht auf die besten Eltern. Eltern sind immer auch Schicksal.

Uwe Jopt — Professor für Psychologie, Gutachter: Für mich stellt sich die Frage: Wer schützt das Kind vor seinen Beschützern? Außer einer Dienstaufsichtsbeschwerde gibt es keine Form der Kontrolle des Jugendamts. Die Jugendämter sagen immer: Wir werden doch von den Gerichten kontrolliert. Aber wie soll das Gericht seinen wichtigsten Gehilfen kontrollieren?

Ursula K. — Mutter von Faruk (Fall 1): Ich wurde noch mal schwanger und zog vor der Geburt meines zweiten Sohnes nach Bremen. Ganz anders als in Vechta haben mir die Mitarbeiter des Jugendamtes hier geholfen. Sie haben mich ernst genommen und in ihre Pläne einbezogen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Seit ein paar Monaten habe ich das alleinige Sorgerecht für Faruk zurück. Zu Jusuf habe ich keinen Kontakt mehr. Das ist vorbei. In den ersten Tagen, die Faruk bei mir war, fand ein Laternenfest in meinem Viertel statt. Ich habe den ganzen Umzug lang geweint, weil ich so glücklich war, beide Kinder an der Hand halten zu dürfen, nicht nur eins. Ich war einfach nur eine normale Mutter unter vielen. Ich konnte endlich all die Dinge nachholen, die ich immer mit Faruk machen wollte: ein Eis essen, in den Zoo gehen, ihn zum Kindergarten bringen, ihn trösten, wenn er weint.

Faruk ist ein aufgeweckter kleiner Kerl. Er hat sich in Bremen gut eingelebt. Aber das ganze Hin und Her hat Spuren bei ihm hinterlassen. Wenn er etwas nicht mitbekommt oder nicht versteht, was man zu ihm sagt, ist er schnell extrem verunsichert. Er hat sein Urvertrauen verloren. Ich denke, das hat auch etwas damit zu tun, dass er in seinem jungen Leben schon oft seine Bezugspersonen wechseln musste.